Über welchen Weg die ersten Vertreter des Homo sapiens Afrika Richtung Asien verließen, darüber scheiden sich die Geister. Denn Funde in der Levante legen nahe, dass frühe Formen des modernen Menschen schon vor mehr als 100.000 Jahren über den Nahen Osten nordostwärts zogen. In den letzten Jahren haben Forscher jedoch am Südrand der Arabischen Halbinsel 125.000 Jahre alte Überreste früher Vertreter des Homo sapiens entdeckt. Weil damals dort weitaus lebensfreundlichere Bedingungen herrschten als heute, gehen einige Wissenschaftler daher von mehreren Auswanderungswellen des Homo sapiens aus, die Afrika auf verschiedenen Wegen verließen. Wann diese frühen Menschen allerdings in Asien ankamen, ist bisher strittig. „Die ältesten eindeutigen Belege für die Anwesenheit des Homo sapiens östlich der Arabischen Halbinsel sind Funde in Nordchina, auf Borneo und in Australien“, berichten Wu Liu von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking und seine Kollegen. „Diese sind jedoch erst 40.000 bis 50.000 Jahre alt.“ Es gibt zwar auch ältere Menschenfossilien, diese zeigen aber ein Gemisch aus primitiven und fortgeschrittenen Merkmalen und können daher bisher nicht eindeutig dem anatomisch modernen Menschen zugeordnet werden.
47 erstaunlich moderne Zähne
Umso eindeutiger scheinen nun die Funde, die Liu und seine Kollegen in der Fuyan Höhle in Südchina gemacht haben. Bei Ausgrabungen in dem mehr als 3.000 Quadratmeter großen System aus Kavernen und Gängen stießen sie neben zahlreichen Tierknochen auch auf 47 menschliche Zähne, die schon auf den ersten Blick verblüffend modern aussahen. Sie sind insgesamt kleiner als die von anderen frühen Menschenformen in Asien bekannten, wie die Forscher berichten. Die Kronen der ersten Backenzähne unterscheiden sich nur um 0,6 bis 1,1 Prozent von denen moderner chinesischer Populationen und die Zahnwurzeln sind ähnlich kurz und schmal wie bei heutigen Menschen. „Der morphologische und metrische Vergleich dieser Zähne spricht für eine eindeutige Zuordnung zum Homo sapiens“, konstatieren Liu und seine Kollegen. „Sie sind weiter entwickelt als alle bisher bekannten Zahnfossilien des anatomisch modernen Menschen.“
Das Erstaunliche dabei: Den Datierungen des Höhlenbodens und eines über den Fossilien gewachsenen Stalagmiten nach sind diese Zähne bereits 80.000 bis 120.000 Jahre alt. „Damit sind diese Zahnfossilien die ältesten und eindeutigsten Beweise dafür, dass schon vor mehr als 80.000 Jahren moderne Menschen in China lebten“, sagen die Forscher. Damit besiedelten unsere direkten Vorfahren diese Region in Fernost sogar noch früher als Europa, dort löste der Homo sapiens den Neandertaler erst vor rund 40.000 Jahren ab. Und der Norden Asiens hinkte den Menschen aus der Fuyan-Höhle wahrscheinlich deutlich hinterher. Denn aus Nordchina und Sibirien sind aus der gleichen Zeit nur primitivere Menschenformen bekannt, wie die Forscher berichten. Ihrer Ansicht nach spricht dies dafür, dass Asien in mehreren Einwanderungswellen und von jeweils unterschiedlich weit entwickelten Vertretern des Homo sapiens besiedelt wurde.