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„Menschenrechte für Affen – das geht zu weit“

Erde|Umwelt Gesundheit|Medizin

„Menschenrechte für Affen – das geht zu weit“
Tiere beobachten im Zoologischen Garten – ein Auslaufmodell? Jörg Junhold, Zoodirektor in Leipzig, bezieht Stellung im Streit um artgerechte Tierhaltung. Das Gespräch führte Wolfgang Hess

bild der wissenschaft: Gratulation zur Geburt des Schabrackentapir-Babys am 9. Februar. Sie sind sicher stolz auf diesen sehr seltenen Zuchterfolg in einem Zoo, Herr Dr. Junhold.

Jörg Junhold: Sie sagen es! Schabrackentapire sind selten, und Jungtiere noch viel seltener. In den letzten zwölf Monaten wurden weltweit in Zoos nur fünf Jungtiere geboren. Damit ist der Kleine eine zoologische Rarität – und durch sein Erscheinungsbild zudem ausgesprochen niedlich. Er bedient damit wichtige Aspekte, um die Öffentlichkeit zu faszinieren – und sie über diese Emotionalität für die Themen Artenschutz und Arterhalt in und durch Zoos zu sensibilisieren.

Wie geht es denn dem Komodowaran, der seit Mai 2011 den Zoo Leipzig bereichert?

Kampung hat sich hervorragend eingelebt. Er ist 2004 auf Gran Canaria geschlüpft und gehört zur ersten europäischen Nachzucht bei den Komodowaranen. Inzwischen haben wir im Rahmen des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms weitere zehn Komodowarane aus den USA eingeführt. Die sind allerdings noch klein. Acht sind in andere europäische Zoos übergegangen, zwei sind bei uns geblieben. Unsere Weibchen sind drei Jahre alt und haben noch nicht die Größe, dass wir sie mit Kampung zusammenbringen können.

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Es besteht die Hoffnung, dass die beiden später Nachwuchs bekommen?

Unser Ziel ist stets, sozial intakte Gruppen zu halten, die Nachwuchs zeugen. Nachwuchs gehört zu einem erfüllten Leben und ist für den Erhalt der bedrohten Arten unabdingbar.

Ein Komodowaran stellt Ansprüche an einen Zoo. Welche Tierarten sind einfach, welche schwierig zu halten?

Eher einfach zu halten sind Huftiere – Haustierrassen, Antilopen, Urwild-Pferde, Lamas. Anspruchsvoll sind alle klassischen Wildtiere. Das beginnt bei Raubtieren mit der Sicherheitsfrage. Die anspruchsvollsten Arten sind große soziale Tiere, Elefanten etwa. Auch Menschenaffen sind im Hinblick auf die ethischen Normen und die Tierhaltung nicht einfach.

Was ist für Sie artgerechte Tierhaltung?

Zur artgerechten Haltung gehört, dass das Gehege passend zur Tierart gestaltet ist. Dazu gehören den Tieren entsprechende Beschäftigungsmöglichkeiten, eine gesundheitsorientierte Haltung, Abwechslungsreichtum mit der Perspektive, soziale Gruppen zu bilden, sowie eine bestimmte Gehegegröße. Die Gehegegröße nenne ich ganz bewusst zum Schluss, weil eine artgerechte Tierhaltung keineswegs darauf reduziert werden kann, wie es heute oft üblich ist. Tiere fühlen sich vor allem dann wohl, wenn ihr Gehege abwechslungsreich strukturiert ist.

Und das können Menschen beurteilen?

Nicht umsonst sind in den Zoologischen Gärten – angefangen beim Zoomanagement – Fachleute beschäftigt. Die Verantwortung für die Tiere haben immer Biologen oder Tierärzte, die als wissenschaftliche Mitarbeiter oder Kuratoren beschäftigt sind. Und der Beruf Tierpfleger ist in Deutschland ein Lehr- beruf, in dem erlernt wird, Tiere genau zu beobachten, daraus Schlüsse zu ziehen und zu registrieren, ob es einem Tier gut geht oder nicht.

Dennoch mehrt sich Kritik daran, wilde oder exotische Tiere zur Schau zu stellen. Verdirbt Ihnen das schon mal den Spaß an der Arbeit?

Grundsätzlich habe ich gegen eine kritische Betrachtung von Wildtierhaltung nichts einzuwenden. Den Spaß verdirbt es mir nur, wenn die Kritik unsachlich ist.

Was sind für Sie beispielgebende Zoos, und welche schrecken Sie ab?

Sie können davon ausgehen, dass alle Zoos, die im Verband der deutschen Zoodirektoren organisiert sind, einen guten Standard und eine hervorragende Tierhaltung haben. Niemandem aus dieser Gruppe würde ich die Qualitäten absprechen. Das haben auch der große Zootest im Stern von 2008 und die europäische Studie von Sheridan 2011 bestätigt. Die westliche Welt hat insgesamt einen sehr hohen Standard. Abschreckende Beispiele sieht man leider immer noch in Südostasien, wo der Mensch kulturell anders mit Wildtieren umgeht als bei uns. Auch in Afrika – etwa im Zoo von Kairo – gibt es schreckliche Zustände.

Gilt Ihre wohlmeinende Aussage auch für kleinere deutsche Zoos?

Im Regelfall ja. Kritisch zu hinterfragen sind Zoos, deren Eigentümer zu wenig finanzielle Mittel haben, um eine artgerechte Haltung zu ermöglichen.

Was würden Sie verbieten?

Eine bestimmte Tierart zu halten, würde ich grundsätzlich nicht verbieten. Wenn der nötige Aufwand getrieben wird, können Sie jede Tierart in einem Zoo halten. Selbstverständlich braucht man für Elefanten entsprechende Gehegestrukturen und hochprofessionelles Personal. Und selbstverständlich muss man sich Delfinhaltungen kritisch anschauen. Abzulehnen ist, wenn Tiere unterhalb von Mindestnormen gehalten werden.

Im vergangenen August wurde im Kölner Zoo eine Pflegerin von einem Tiger angegriffen und tödlich verletzt. Der Tiger wurde anschließend erschossen, was in solchen Fällen üblich ist. Andererseits sind Tiger eben Raubkatzen und Übergriffe auf Menschen nicht auszuschließen. Salopp gefragt: Welche Schuld hat da das Tier?

In dem Fall gab es gar keine andere Wahl, als das Tier zu töten. Niemand konnte einschätzen, ob die Tierpflegerin noch lebte und ihr geholfen werden konnte. Das Tiergehege hätte nicht betreten werden können, ohne den Tiger unschädlich zu machen. Den Tiger mit einem Narkotikum zu beschießen und dessen Wirkung abzuwarten, hätte zu lange gedauert. Aber das Tier trifft natürlich keine Schuld.

Das Great Ape Project, das es seit einigen Jahrzehnten gibt, fordert Menschenrechte für Menschenaffen. Sie umzusetzen hätte zur Folge, dass Bonobos, Schimpansen, Gorillas oder Orang-Utans nicht mehr in Zoos gehalten werden dürfen. Nun ist ja gerade der Leipziger Zoo berühmt für seine Menschenaffenhaltung. Droht Ihnen Ungemach?

Ich bin sehr dafür, die Messlatte bei der Haltung von und im Umgang mit Menschenaffen sehr hoch zu legen. Menschenrechte an Menschenaffen zu vergeben, geht mir aber einen Schritt zu weit. Affen sind eben keine Menschen, selbst wenn sie mit uns evolutionär eng verwandt sind.

Zoos brauchen Attraktionen. Leipzig hat seit 2001 das Pongoland mit seinen rund 50 Menschenaffen und seit 2011 das Gondwanaland, eine 1,6 Hektar überdeckende Halle, in der tropischer Regenwald mit vielen Tier- und Pflanzenarten

simuliert wird. Woher nehmen Sie die Ideen dafür?

Wir beim Leipziger Zoo sind innovativ und kreativ. Gondwanaland ist ein Unikat, es existiert so weltweit kein zweites Mal. Es kostete aber auch 68,5 Millionen Euro. Wenn wir etwas Neues machen, dann muss es zoologisch gesehen einen innovativen Charakter besitzen – das ist unser Anspruch. Die Anregungen kommen natürlich auch über internationale Erfahrungen – aber immer mit dem Ziel, nicht zu kopieren, sondern das Geschehen auf unsere Verhältnisse herunterzubrechen.

Welche Zwischenbilanz ziehen Sie speziell beim Betrieb von Gondwanaland?

Eine sehr positive. Die Pflanzen und Tiere haben sich gut entwickelt. Wenn wir auch die kleineren Tierarten mitzählen, vermute ich, dass in der Halle mehr als 100 Tierarten leben. Die größte Herausforderung für uns ist weiterhin die Feinregulierung des Klimas: das Zusammenspiel von Luftfeuchtigkeit und Hallentemperatur mit der Außentemperatur.

Wenn wir schon beim Thema Attraktionen sind: Welche Rolle spielen bei Zoos Rankings und Bewertungen im Internet? Fühlen Sie sich mitunter ungerecht behandelt?

Wir können hier nicht klagen. Sowohl beim Stern-Ranking von 2008 als auch bei einem europäischen Ranking des Zooexperten Anthony Sheridan zwei Jahre später wurden wir gut bewertet. Beim Stern-Ranking unter deutschen Zoos lagen wir auf Platz 5, beim europäischen Ranking sogar auf Platz 2 – gleich nach Wien.

Wie viel Geld müssen Sie mit dem Leipziger Zoo pro Jahr erwirtschaften?

Wir haben einen sehr hohen Eigenanteil bei der Finanzierung, sowohl beim laufenden Betrieb als auch bei den Investitionen. 90 Prozent finanzieren wir durch Eintritte und Drittgeschäfte wie Restaurants, Zoo-Shop oder Sponsoring. Der Zoo Leipzig ist eine der markantesten Attraktionen der Stadt. 2012 hatten wir die bisher höchste Besucherzahl: 2,12 Millionen. Als ich vor 16 Jahren hier anfing, waren es 675 000 Besucher. Das Gesamtjahresbudget liegt bei 29 Millionen Euro, 2,8 Millionen davon sind Zuschüsse ausschließlich durch die Stadt Leipzig. Bei den Investitionen in den vergangenen Jahren wurde die eine Hälfte der Mittel selbst erwirtschaftet, die andere Hälfte waren Zuschüsse von der Stadt und vom Freistaat Sachsen.

Inwieweit sind Zoos Gegenstand der Wissenschaft?

Die vier Hauptaufgaben des Zoos im 21. Jahrhundert sind Erholung, Bildung, Artenschutz und Wissenschaft. Wir als Zoo Leipzig arbeiten mit dem Institut für Evolutionäre Anthropologie der Max-Planck-Gesellschaft zusammen. Dort wird Grundlagenforschung auf höchstem internationalem Niveau betrieben. Eigene Forschung unterhalten wir bei der Veterinärmedizin. Dort geht es um die Fruchtbarkeit der Tiere, die Zuchthygiene. In Zusammenarbeit mit unseren Zoologen und dem Institut für Zoo- und Wildtierforschung beschäftige ich mich als Wissenschaftler selbst mit Fragen des Artenschutzes, etwa mit der Wiederansiedlung des Sabah-Nashorns in Borneo oder der Neuklassifizierung von Löwen-Unterarten.

Eigene Forschung? Das schaffen Sie trotz Ihrer Zusatzbelastung als Präsident des Weltzooverbandes?

Mal besser, mal schlechter. Während der zweijährigen Prä- sidentschaft, die bis zum Ende dieses Jahres geht, ist die Wissenschaft ein Stückchen in den Hintergrund geraten. Ich habe mir aber fest vorgenommen, danach wieder verstärkt wissenschaftlich zu arbeiten.

Welche Aufgaben hat ein Weltzoodirektor?

Ich habe mich sehr intensiv damit beschäftigt, was in der Welt der Zoos auf den verschiedenen Erdteilen los ist. Zum Beispiel läuft die Finanzierung von lateinamerikanischen Zoos völlig anders ab, und die Währungsunterschiede zur westlichen Welt schränken die internationale Arbeit sehr stark ein. In Südostasien liegt der Tierschutz dagegen oft im Argen. Beispielsweise gibt es in Zoos, die nicht in der WAZA, der „World Association of Zoos and Aquariums“, organisiert sind, oft inakzeptable Shows mit handaufgezogenen Menschenaffen oder Tigern. Wichtig ist mir ein weltweites Kommunikationsprogramm, das den Wert der Zoos bei der Erhaltung der biologischen Vielfalt offenbart. Ein weiterer Schwerpunkt ist für mich, in den Zoos für nachhaltige Tierpopulationen zu sorgen. Das heißt: Auch winzige Populationen durch Individuen anderer Zoos vorübergehend so zu bereichern, dass sie erhalten werden können. Um das hinzubekommen, müssen Tiertransporte einfacher über die Bühne gehen. So ist es heute fast unmöglich, ein Tier aus den USA zur Fortpflanzung nach Europa zu bringen.

Können durch Zoos Tierarten erhalten werden, die in der freien Natur auszusterben drohen wie Tiger oder Eisbären?

Es gibt Beispiele, dass das möglich ist – wie beim Wisent. Er wäre ohne die Nachzüchtung in Zoos längst ausgestorben. Das Urwildpferd und verschiedene Antilopenarten sind weitere Beispiele. Bei vielen Raubtieren ist der Erhalt in freier Wildbahn bisher schwierig. Doch auch hier hoffen wir, in Zoos gesunde Bestände aufbauen zu können. Selbst in Deutschland gibt es bei der Wiederansiedlung gute Beispiele – etwa vom Wolf in Sachsen oder vom Europäischen Luchs. Tiger aus menschlicher Obhut ins Freie zu entlassen, ist noch wenig erfolgreich, weil sie immer wieder die Nähe von Menschen suchen, wenn sie sich einmal an sie gewöhnt haben, dann aber als Feind gesehen und getötet werden.

Zum Schluss noch ein paar Stakkato-Fragen. Erstens: Spezialisierung statt Breite?

Der Platz wird immer begrenzt sein, deshalb geht Qualität vor Quantität.

Glas statt Gitter?

Beim Glas fehlt dem Besucher oft der olfaktorische Reiz, die Ansprache des Geruchssinns. Aber der Besucher hat nicht den Eindruck, dass das Tier im Gefängnis ist.

Individualisierte Tierpräsentationen anstelle von Massengehegen?

Geschichten sind ganz wichtig, weil man nur über sie die Herzen erreicht.

Haben Zoos Zukunft?

Wenn es den Zoo nicht geben würde, müsste man ihn erfinden. Zoos sind die Nahtstelle zwischen der freien Wildbahn – der dortigen Tierwelt, deren Lebensräumen – und der Zivilisation. Die Kenntnisse über Tiere nehmen ab. Wenn wir nicht aufpassen, geht die Sensibilisierung für unsere natürliche Umwelt verloren. Und genau hier sehe ich die große Aufgabe der Zoos. Wenn wir sie richtig betreiben, erkennt der Besucher in den Wildtieren Botschafter der vom Aussterben bedrohen Arten. Der Besucher begreift dadurch, wie wichtig es ist, sich ressourcenschonend zu verhalten und so dafür zu sorgen, dass die Lebensräume der Wildtiere bestehen bleiben. Nur so erhalten wir viele Wildtierarten für unsere Kinder und Enkel. ■

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