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Die Jagd nach dem verborgenen Grab

Allgemein

Die Jagd nach dem verborgenen Grab
Seit Dschingis Khan tot ist, sind Menschen in aller Welt auf der Suche nach dem geheimen Ort seiner letzten Ruhe. Jetzt ist wieder ein Forscher auf einer heißen Spur.

Es vergeht kaum ein Jahr, in dem Archäologen oder Hobby-Schatzsucher nicht die große Sensation verkünden: Das Grab des Dschingis Khan ist gefunden! 120 Expeditionen gab es allein im 20. Jahrhundert. Deutsche, Russen, Chinesen, Japaner und in den letzten Jahrzehnten vor allem US-Amerikaner – sie alle glaubten, am Ziel zu sein.

Wie ein Besessener suchte der 2012 verstorbene Rechtsanwalt Maury Kravitz über 40 Jahre lang das Grab des Mongolenfürsten. Er war getrieben von der Bewunderung für einen Mann, der scheinbar alle Hindernisse überwand, um der größte Herrscher seiner Zeit zu werden. Kravitz gelang es immer wieder, Wissenschaftler und Investoren mit seiner Begeisterung anzustecken. 2001 und 2006 stießen von ihm initiierte Grabungsexpeditionen in den Ausläufern der Khentii-Berge im Nordosten der Mongolei tatsächlich auf Gräber mit Artefakten aus der Zeit Dschingis Khans (1162 bis 1227). Doch den Nachweis, dass sich hier auch die letzte Ruhestätte des Großkhans befand, blieben sie schuldig.

2009 war Kravitz wieder überzeugt, „ganz nah am Grab Dschingis Khans“ zu sein. Damals hatte er mit einem Grabungsteam der University of Chicago im mongolischen Distrikt Batshireet ein ummauertes Feld mit 60 Gräbern entdeckt. Dabei kam Keramik ans Licht, die in die Zeit von Dschingis Khan passte. Wieder hoffte der Hobbyhistoriker, in einem der Gräber würde der lang gesuchte Schatz schlummern. Waffen als Grabbeigaben sollten den entscheidenden Hinweis liefern. Doch sie wurden nicht gefunden.

2001 und 2004 machte sich ein japanisch-mongolisches Team auf die Suche. In der ersten Grabungskampagne kamen bei Avraga, 250 Kilometer östlich von Ulan Bator, Ruinen zum Vorschein, die die Forscher als Palast Dschingis Khans deuteten. 2004 glaubten sie dann, das Mausoleum des Mongolenherrschers entdeckt zu haben. Viele Medien griffen die Meldung auf und berichteten von der Hoffnung des Teams, das Grab im Umkreis des Mausoleums zu finden. Eine vergebliche Hoffnung.

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Land und Leute – aber kein Grab

Zu den wenigen deutschen Wissenschaftlern, die sich an der Jagd nach dem Grab beteiligten, gehört der Leipziger Tibetologe Johannes Siegfried Schubert. 1957, 1959 und 1961 verbrachte er längere Forschungsaufenthalte in der Mongolei, wo er sich mit „ Land, Leuten und Lebensweise in der Mongolischen Volksrepublik“ beschäftigte – so der Titel seines Buchs. Auch er suchte das Grab Dschingis Khans in den Khentii-Bergen – und wurde enttäuscht.

Viele Abenteurer wittern in den Khentii-Bergen ihre Chance, weil man den Leichnam Dschingis Khans sehr wahrscheinlich hierher gebracht hatte. Nach mongolischer Tradition wird ein Machthaber nach dem Ableben in seine Heimat überführt. Und die Heimat Dschingis Khans lag in den Khentii- Bergen, am Fuß des Burchan Chaldun – so steht es in der „Geheimen Geschichte der Mongolen“, die 1240 ein Schreiber aus dem Umfeld von Dschingis Khans Sohn Ögödei verfasste.

Doch manche Forscher aus China und Russland geben wenig auf diese Überlieferung. Aus politischem Interesse behaupten sie vielmehr, das Grab müsse innerhalb ihrer eigenen Landesgrenzen zu finden sein. Der russische Historiker Nikolaj Abajew etwa meint, der Großkhan sei in der heute zu Russland gehörigen Region Tuwa zur Welt gekommen und dort auch beigesetzt worden. Hinweise auf sein Grab gibt es hier jedoch ebenso wenig wie am Fuß des Altai- Gebirges, wo chinesische Forscher Ausschau hielten. Dort war der Mongolenkönig am 18. August 1227 auf einem Feldzug gegen den Tangutenstaat Xixia gestorben.

Tausende Freiwillige Halfen mit

Derzeit ist Albert Yu-Min Lin von der University of California in San Diego überzeugt, auf der richtigen Spur zu sein. Sein Ziel sind wiederum die Khentii-Berge. Mit hoch aufgelösten Satellitenaufnahmen und Radarbildern hat er eine Region von rund 10 000 Quadratkilometern fast millimetergenau erfasst. Unterstützung erhielt er dabei von einem Team aus Forschern der International Association for Mongol Studies, der Mongolian Academy of Sciences und der National Geographic Society.

Eine große Beisetzung wie die Dschingis Khans müsste bis heute sichtbare Spuren in der Landschaft hinterlassen haben, ist Lin überzeugt. In Fleißarbeit werteten er und sein Team deshalb rund 85 000 Satellitenfotos aus. Und da sie eine solche Flut an Bildern nicht allein bewältigen konnten, luden sie Internet-Nutzer dazu ein, sich an der Suche zu beteiligen. Tausende Freiwillige folgten dem Aufruf und durchforsteten die Bilder mit dem Auftrag, Auffälligkeiten zu melden.

Tatsächlich fand sich auf einer Aufnahme eine Struktur, die zu einem Grabhügel passen könnte. Vor Ort stießen die Forscher an dieser Stelle auf Hunderte Artefakte. Einige der Fundstücke, darunter Keramik, Pfeilspitzen und Dachziegel, stammen aus der Zeit Dschingis Khans.

Albert Lin gab dem US-amerikanischen Nachrichtenmagzin „ Newsweek“ Ende 2012 ein exklusives Interview dazu, in dem er betonte, wie „überzeugend sich alles aneinanderreihe“. Doch die Forscher sind noch nicht am Ziel: Zwar ist ihnen ein wichtiger Fund gelungen, doch der überzeugende Nachweis, dass es sich um das Grab Dschingis Khans handelt, ist bisher nicht erbracht. Den könnte nur ein eindeutiges Herrschaftszeichen oder eine Inschrift liefern.

Dergleichen aufzuspüren, erscheint im Fall Dschingis Khan allerdings äußerst unwahrscheinlich. Während die Gräber der Machthaber in anderen Kulturen mit weithin sichtbaren Grabhügeln, Pyramiden, Totentempeln oder anderen Monumenten in Erinnerung gehalten wurden, pflegt man in der Mongolei seit alters her Zurückhaltung. Denn der Leib des Verstorbenen soll der mongolischen Tradition gemäß auf ewig unversehrt und ungestört ruhen.

„Wurde die Grabstätte eines Herrschers dennoch gefunden und beraubt, war dadurch die Identität des ganzen Stammes vernichtet“ , erklärt der Bonner Archäologe Hans-Georg Hüttel. Entsprechend war unter Reitervölkern die Schändung von Herrschergräbern eine weit verbreitete Kriegstaktik. Bei Dschingis Khan soll die Entdeckung seines Grabs sogar vernichtende Folgen haben: Nach einer in der mongolischen Welt verbreiteten Legende geht danach die Welt unter. Diese Vorstellung gibt es bis heute, weiß der Bonner Mongolist Klaus Sagaster.

ALLE mussten sterben

Vielleicht wurden die Spuren bei Dschingis Khans Grablegung deshalb besonders gründlich beseitigt. Der Überlieferung zufolge sollen Hunderte von Sklaven den Grabhügel nach der Bestattung eingeebnet haben. Um den Begräbnisort nicht verraten zu können, seien die Sklaven hinterher von begleitenden Soldaten massakriert worden. Und als die Soldaten nach Hause kamen, sollen auch sie getötet worden sein, um das Geheimnis zu wahren. Selbst für zufällige Augenzeugen des Leichenzugs hätte die letzte Stunde geschlagen. Niemand sollte den Ort des Grabs kennen. So brutal ging man damals öfter vor. „Gefolgschaftsbestattung nennt man das“ , erklärt Hüttel.

Offensichtlich waren diese drastischen Vorsichtsmaßnahmen bei Dschingis Khan erfolgreich. Schon Marco Polo berichtete wenige Jahrzehnte nach dem Tod des Mongolenfürsten, niemand wisse, wo dieser beigesetzt worden sei.

Nicht nur bei den Mongolen, auch in anderen Kulturen wird die Totenruhe besonders respektiert. Der Forscher zieht einen Vergleich zur Grabanlage des ersten chinesischen Kaisers Qin Shi Huangdi, die wegen ihrer Terrakotta- Armee berühmt ist. Die eigentliche Grabkammer des Kaisers ist bis heute nicht freigelegt, weil auch in China die Tradition fordert, die Toten ruhen zu lassen.

Anders als beim chinesischen Kaiser, ist sich Sagaster allerdings nicht sicher, ob im Grab Dschingis Khans überhaupt reiche Beigaben auf den Finder warten. Sollte sein Leichnam entdeckt werden, wäre vor allem das Skelett interessant. Und: „ Möglicherweise würden wir auch etwas über den Grabbau der Zeit erfahren“, meint Hüttel.

Wenn Dschingis Khans Grab auch aus dem kollektiven Gedächtnis verschwand – der große Herrscher selbst ist nicht vergessen. An mehreren Orten wird er bis heute verehrt. Eine frühe Erinnerungsstätte waren die mobilen „acht weißen Zelte“ in den Khentii-Bergen. Dort standen wohl einst tatsächlich die Zeltpaläste Dschingis Khans und seiner vier Gemahlinnen.

Diese Form der Verehrung war den kommunistischen Herrschern Chinas nach 1949 suspekt. Daher ließen sie in Ejin Horo Qui in der Inneren Mongolei zwischen 1954 und 1956 ein „Mausoleum“ für Dschingis Khan erbauen, das die Tradition der acht weißen Zelte ablösen sollte. Damit wollte die Zentralregierung die Verehrung Dschingis Khans unter ihre Kontrolle bringen und die Dharkad, die traditionellen Wächter der acht weißen Zelte, entmachten.

Die verehrung wird zum Politikum

Auch in Ulan-Hot zeigt sich, wie stark der Großkhan in der Neuzeit politisch instrumentalisiert wurde. In dieser Stadt, die sich ebenfalls in der Inneren Mongolei befindet, ließen die japanischen Besatzungstruppen bereits 1942 einen Tempel für Dschingis Khan erbauen. Damit sollte das Nationalgefühl der hier lebenden Mongolen gestärkt werden – natürlich im Sinne eines von Japan abhängigen Marionettenregimes.

In der Mongolei wird die Erinnerung an Dschingis Khan weiterhin besonders gepflegt. 1962 wurde in Dadal, 350 Kilometer nordwestlich von Ulan-Bator, ein Denkmal für Dschingis Khan errichtet. Hier soll er angeblich seine Kindheit verbracht haben. 2008 gipfelte die Verehrung in einem riesigen Reiterstandbild, das südlich des Flusses Tuul eingeweiht wurde. Mit 30 Metern ist es das höchste der Welt. Auch dieser Ort wurde mit Bedacht gewählt: Hier soll Dschingis Khan einst eine goldene Gerte gefunden haben.

Viele der „Reliquien“ Dschingis Khans, die an den verschiedenen Gedächtnisorten aufbewahrt werden, sind keine Originale. Vor allem während der Kulturrevolution wurden zahlreiche Relikte zerstört. Doch auf die Echtheit kommt es den Anhängern gar nicht so an. Sie verehren die Orte selbst als heilig und opfern bei kultischen Begehungen Blumen und Lebensmittel.

Für sie ist es nicht wichtig, dass das Grab ihres mächtigen Ahnen gefunden wird. Ganz im Gegenteil, betont Hüttel: „Die Mongolen wollen nicht, dass das Grab entdeckt wird, weil es dann zu einer Entmythologisierung käme.“ Die Bergung seiner sterblichen Überreste soll der Legende vom großen Herrscher nicht die Kraft nehmen. ■

von Uwe A. Oster

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