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„Bloßes Blenden funktioniert nicht“

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„Bloßes Blenden funktioniert nicht”
Wer wird der nächste Bundeskanzler? Olaf Kramer hat einen Tipp. Der Tübinger Rhetorikexperte erklärt außerdem, wie das Internet die Partnerwahl verändert und warum Rhetorikratgeber nichts taugen.

bild der wissenschaft: Der Bundestagswahlkampf nimmt langsam Fahrt auf – mit zwei sehr unterschiedlichen Spitzenkandidaten: Angela Merkel gilt als strategisch versiert und gut strukturiert, aber auch als akademisch und hölzern. Über Peer Steinbrück sagt man, er sei bissig, aber auch verbissen. Wer wird von den rhetorischen Fähigkeiten her der nächste Bundeskanzler, Herr Kramer?

Olaf Kramer: Ich tippe auf Angela Merkel. Doch so unterschiedlich sind die beiden gar nicht. Peer Steinbrück wird zwar als großer Redner wahrgenommen, und sicher versteht er es, in Reden auszuteilen. Was ihm aber ebenso wie Merkel fehlt, ist eine gewisse Wärme und Verbindlichkeit. Eine emotionale Nähe zu den Zuhörern herzustellen, ist ein wichtiger Schlüssel für einen Redner. Gerade gegenüber Merkel wäre das etwas, womit Steinbrück sich abheben könnte. Momentan arbeitet er allerdings ohne Rücksicht auf Verluste. Er gilt zwar als Stratege. Ich glaube aber nicht mehr, dass bei ihm alles Strategie ist. Dazu ist zu viel nach hinten losgegangen, wenn man etwa an die Aufregung um seine Honorare denkt.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie politische Reden analysieren?

Ich benutze meist die Videoaufzeichnung einer Rede. Manchmal habe ich auch ein Manuskript. Dann sehe ich, wo es Abweichungen gab. Es geht aber mehr darum, was tatsächlich gesprochen wurde. Wie man im Fußball sagt: Es zählt, was auf dem Platz passiert. Dazu gehört nicht nur das gesprochene Wort. Die Rede ist nur ein Baustein in einem sehr komplexen Kommunikationskonstrukt. Es geht um die komplette Inszenierung. Die 500 Leute bei einer Versammlung sind nicht der eigentliche Adressat, sondern die allgemeine Öffentlichkeit und damit die Medien. Oft sind einzelne Soundschnipsel entscheidend, die zitierfähig sind und im Idealfall abends in der Tagesschau auftauchen. Da reichen zwei bis drei Sätze. Außerdem sind gute Bilder hilfreich.

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Können Sie ein Beispiel nennen?

Theodor zu Guttenberg: Er hat die Klaviatur gut beherrscht, die man spielen muss, um politische Botschaften zu platzieren. Ihm war klar: Wenn er einen Kampfanzug anzieht und im Kampfjet nach Afghanistan fliegt, kommen keine Zeitung und kein Sender an diesen Bildern vorbei. Und dann sagte er drei Sätze, die von den Medien übernommen wurden. Es hätte ihm viel weniger gebracht, im schwarzen Anzug anzureisen und eine einstündige gute Rede zu halten.

Nun könnte man sagen: Toller Auftritt, doch vieles dabei war Blendwerk.

Ja, insofern ist es beruhigend zu sehen, dass das bloße Blenden nicht funktioniert hat.

Sie sind im Expertengremium des neuen Projekts „ Jugend präsentiert”. Es hilft Schülern, Inhalte gekonnt darzustellen, und ihre Körpersprache einzusetzen. Mit einer guten Inszenierung kann man aber auch schwache Inhalte kaschieren. Ist es sinnvoll, Jugendlichen das beizubringen?

Genau das machen wir nicht. Sonst müsste das Projekt „Jugend blendet” heißen. Eine Präsentation ist vor allem dann gut, wenn sie inhaltlich gut ist. Das stellen wir auch in den Mittelpunkt. Die Teilnehmer lernen zu recherchieren und zu argumentieren, außerdem kommunikative Situationen zu beurteilen und Lösungen zu entwickeln. Wir geraten in unserem Arbeitsalltag ständig in Kommunikationssituationen. Wenn ich es nicht schaffe, dem Team zu vermitteln, wo das Problem liegt, kann ich von da auch keine Unterstützung bekommen. Kommunikation ist ganz entscheidend für den Erfolg.

Während Redenschreiber in den USA namentlich bekannt sind, werden sie in Deutschland regelrecht versteckt. Was wissen Sie über deutsche Redenschreiber?

Es gibt einen Verband der deutschen Redenschreiber. Da sind die aktiven und wichtigen Redenschreiber aber nicht erkennbar. Die bleiben konsequent im Hintergrund. Ich kenne aber viele, weil sie in Tübingen Rhetorik studiert haben. Sie sind meist als persönliche Referenten tätig oder bei den Parteien in der Kommunikationsabteilung. Ihre Arbeit muss man sich als Teamwork vorstellen. Diese Redenschreiber werden nach drei bis vier Jahren ausgetauscht, weil man immer wieder einen „frischen Look” schaffen will. Eine große Ausnahme ist Markus Barth, der schon viele Jahre für den jeweiligen Bundespräsidenten arbeitet – seit Roman Herzog nämlich. Er hat Rhetorik und Theologie in Tübingen studiert. Und ich meine, in den Reden immer mal wieder gewisse theologische Grundzüge zu erkennen. Es gibt Stellen, da denke ich: „Ah, da könnte er wieder am Werk gewesen sein.”

Sie beschäftigen sich auch mit Internet-Rhetorik. Da geht es um so schlichte Fragen, wie die, was Internet-Seiten brauchen, um verständlich zu sein. Was hat das mit Rhetorik zu tun?

Eine Generalkategorie der klassischen Rhetorik ist die Angemessenheit. Etwas ist rhetorisch dann gut, wenn es passend ist. Es muss zum Redner, zum Inhalt und zum Adressaten passen. Außerdem definiert jedes Medium eine bestimmte Kommunikationssituation. Wenn man einen gedruckten Text liest, kann man das Tempo bestimmen, vor- und zurückblättern. Wenn man miteinander spricht, kann man sich auf das Gegenüber einstellen und seine Rede anpassen. Man fragt sich also, was für ein Medium jeweils angemessen ist – auch für das Internet. Hier geht es um die Nutzbarkeit von Informationen. Man schaut, wie eine Seite aufgebaut sein muss, um die Kriterien der Nutzbarkeit zu erfüllen. Das ist tatsächlich die unterste technische Stufe. Aber wenn es hier nicht klappt, funktioniert das ganze Angebot nicht. Dabei muss man vor allem berücksichtigen, wie die Adressaten ticken.

Und wie finden Sie das heraus?

Es gibt eine weiche Methode: Man denkt sich in die Position des Adressaten hinein. Das ist einfach, aber effektiv. Zugleich gibt es empirische Daten. Man schaut, woran sich Leute erinnern, wenn sie im Internet einen Text gelesen haben. Und man vollzieht Navigationswege und Verweildauer nach. Dann spielen auch lerntheoretische Überlegungen eine Rolle. Wir folgen bestimmten gedanklichen Schemata. Ein Beispiel ist der Onlineshop Amazon: Er gibt vor, wie Einkaufen im Internet funktioniert. Man sucht das Produkt aus, klickt auf den Warenkorb und geht zur Kasse. Es ist intelligent, das so zu machen, weil es an einen realen Supermarkt erinnert. Man könnte es ja auch anders machen. Doch Internet-Seiten, die davon abweichen, tun sich möglicherweise schwer, weil das Skript „Online-Einkauf” bereits erlernt wurde. Solche erlernten Verhaltensweisen sollte man äußerst behutsam ändern.

Gibt es noch etwas, wobei Internet-Rhetorik nützlich ist?

Mich interessiert vor allem, was die Digitalisierung kulturell mit uns macht. Das Tolle ist, dass Informationen universell verfügbar werden. Ich kann in Windeseile Informationen bekommen, kombinieren und manipulieren. Ein einfaches Beispiel: Wenn ein Tonsignal auf einer Schallplatte eingepresst ist, kann man nicht viel damit machen. Man kann die Musik langsamer oder schneller, lauter oder leiser laufen lassen. Sobald ich ein Musikstück dagegen in digitaler Form habe, kann ich es in Teile zerhacken, neu kombinieren, Tonhöhen variieren oder einen Rauschfilter darüber legen. Diese universelle Verfügbarkeit ist für uns selbstverständlich geworden, und wir übertragen sie auf andere Bereiche, etwa auf die Partnerwahl. Bei einer Internet-Partnerbörse habe ich mit einem Klick Hunderte Leute im Angebot. Die sortiere ich nach Alter, Größe oder was auch immer. Die Menschen werden für mich zu einer universellen Verfügungsmasse.

Die Frage ist, wie gut diese Art der Partnersuche funktioniert.

Klar, aber zunächst einmal fangen die Menschen an, so zu agieren. Das ist doch merkwürdig: Ich habe 300 Frauen durchsortiert, die 10 besten ausgewählt, und dann bleibt vielleicht eine übrig. Die kann ich dann nicht weiter sortieren, wenn ich mich für sie entschieden habe. Ich bin aber durch das Internet daran gewöhnt, das zu können.

Sie kritisieren die Erfolgsformeln in der Ratgeberliteratur. Wieso?

Viele Leute suchen in Ratgebern nach dem geheimen Wissen der Rhetorik. Doch die meisten Tipps funktionieren nicht, weil ihre Umsetzung nicht authentisch wirkt. Manche Dinge stellen sich in einer konkreten Situation anders dar als auf dem Papier, und dann ist einem wenig geholfen. Es gibt zum Beispiel die Drei-Satz-Regel, die im Prinzip so funktioniert: „Es gibt folgendes Problem, und wir sollten jenes tun, um dieses Ziel zu erreichen.” Es ist furchtbar, Leuten zuzuhören, die dieses Schema mechanisch umsetzen. Oder Körpersprache-Tipps: Wenn man sagen will „Bis hierhin und nicht weiter”, soll man die Hände so halten (er dreht die Außenseiten seiner Hände zum Gegenüber und richtet die Daumen auf) oder wenn man sagen will „Das ist Verhandlungssache”, macht man so (er klappt die Daumen wieder ein). Diese Gesten sind völlig künstlich. Doch viele Ratgeber enthalten vor allem solche Tipps und Tricks.

Kann man also überhaupt keine sinnvollen Tipps für die Körpersprache geben?

Doch. Ein zentraler Punkt ist etwa, Blockaden zu vermeiden. Wenn man sich irgendwo festhält – an einem Stuhl oder an sich selbst (er verschränkt seine Arme), wird man kaum ein positives körpersprachliches Signal senden. Man sollte auch vermeiden, sehr nah am Tisch zu sitzen oder sich bei einem Vortrag hinter einem 17-Zoll-Monitor zu verstecken. Ein wichtiger Hinweis wäre: Suche dir am Anfang eine Position, die nicht mit einer Blockade verbunden ist. Man kann als Trainer auch beobachten, was jemand an Gesten anbietet und daran arbeiten, diese zu verbessern. Das ist aber sehr individuell. Das kann kein Buch leisten.

Trainieren Sie auch Ihre eigene Rhetorik?

Hier in Tübingen wird in Theorie und Praxis ausgebildet. Man übt, Gespräche zu führen und Reden zu halten. Das habe ich natürlich auch gemacht. Aber ich sage immer: Ein Fußballtrainer muss nicht selbst Fußball spielen. Ich muss Praktiken beurteilen, aber nicht unbedingt selbst umsetzen können. Es gibt in der Rhetorik den schönen Satz: Wer alles richtig macht, macht vieles falsch. Gemeint ist: Sobald ich bei der Kommunikation alles perfekt mache, wirkt das künstlich. ■

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