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Stuhl statt Sport

Allgemein

Stuhl statt Sport
Bei der Behandlung von Übergewicht wagen sich Forscher an eine ungewöhnliche Methode: die Übertragung von Exkrementen.

Wenn man nach den Ursachen von Übergewicht fragt, scheinen die Schuldigen schnell gefunden: falsche Ernährung und Bewegungsmangel. Doch Wissenschaftler haben jetzt noch einen weiteren Verantwortlichen für die überflüssigen Pfunde entdeckt: die Darmflora des Menschen. Gerade hat sich herausgestellt, dass die Bakterien, die im Darm leben, unsere Stimmung beeinflussen können (siehe Beitrag „Simmungsmacher im Darm” ab Seite 34), da häufen sich schon die Hinweise, dass sie möglicherweise auch bei der Behandlung von Übergewicht helfen.

Schon 2006 verpflanzte ein Team um den Biologen Jeffrey Gordon von der Washington University in St. Louis Mäusen ohne eigene Darmflora entweder Darmbakterien von übergewichtigen oder von schlanken Artgenossen. Ergebnis: Bei gleicher Ernährung nahmen die Mäuse der ersten Gruppe wesentlich mehr zu als die der zweiten. Die Forscher vermuteten, dass die Darmbakterien übergewichtiger Mäuse mehr Energie aus der Nahrung ziehen als die Darmbakterien schlanker Mäuse.

Das könnte auch für Menschen gelten. Versuchsweise verabreichten die Medizinerin Anne Vrieze und ihre Kollegen vom Academic Medical Center in Amsterdam übergewichtigen Männern mit metabolischem Syndrom Stuhl von schlanken Spendern – mittels einer sogenannten Stuhltransplantation. Das metabolische Syndrom geht einher mit Übergewicht, Bluthochdruck, schlechten Blutfettwerten und Insulinresistenz, einer Vorstufe von Diabetes. Sechs Wochen nach der Behandlung waren die übergewichtigen Probanden deutlich weniger insulinresistent als davor.

Bei einer Stuhltransplantation wird der Stuhl mit einer Kochsalzlösung vermischt und über eine Nasensonde oder mithilfe eines biegsamen Endoskops über den After in den Darm gebracht. Die Darmflora des Patienten wird so durch die des Spenders ersetzt – ein Effekt, der einige Zeit anhält.

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Also: Spenderstuhl gegen Fettleibigkeit? Die Gastroenterologin Patrizia Kump von der Medizinischen Universität Graz bremst den Enthusiasmus: „Allein wird das nicht helfen. Dazu ist das Phänomen zu komplex.” Allerdings kann sie sich vorstellen, dass man die Stuhltransplantation in Zukunft ergänzend zu anderen Therapieformen einsetzt.

STRENG GEPRÜFT

Bisher müssen sich die Patienten ihre Spender selbst suchen. Und: Die Überprüfung des Spenderstuhls auf Krankheitserreger ist kostspielig, aber notwendig. „Brächte man Krankheitserreger vom Spender in einen Patienten mit geschwächtem Immunsystem, könnte der Patient septisch werden”, nennt Max Reinshagen, Gastroenterologe am Klinikum Braunschweig, die Gefahr. Er hat die bisher einzige Stuhltransplantation in Deutschland durchgeführt – bei einer Patientin mit chronischen Durchfallbeschwerden aufgrund einer Darminfektion. Eine Freundin spendete ihren Stuhl – und die Prozedur verlief erfolgreich.

Manchem Patienten wird der Gedanke, Stuhl verabreicht zu bekommen, allerdings unappetitlich erscheinen. Ein Ausweg wäre eine Pille mit dem gefriergetrockneten Präparat. Eine andere Idee der Forscher ist, die wirksamsten Darmbakterien im Labor nachzuzüchten. Mit einem solchen Vorrat ließen sich dann auch umfangreiche Studien durchführen, um herauszufinden, ob Darmbakterien tatsächlich beim Kampf gegen Übergewicht helfen können. ■

von Franziska Konitzer

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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