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Die zwei Gesichter des Mondes

Astronomie|Physik Erde|Umwelt

Die zwei Gesichter des Mondes
Wie kommt die merkwürdige Asymmetrie des irdischen Trabanten zustande? Zwei neue Modelle konkurrieren um die lange gesuchte Erklärung.

Kein anderer Anblick am Himmel ist so vertraut wie das gutmütige Gesicht des Vollmonds. Es entsteht durch die sogenannten Maria: riesige dunkle Flecken auf der hellen Scheibe. Diese glatten Tiefebenen aus dem Vulkangestein Basalt nehmen fast ein Drittel der Mondvorderseite ein. Die ständig von der Erde abgewandte Rückseite sieht allerdings ganz anders aus. Sie wird von einer durch Krater zerfurchten Gebirgslandschaft beherrscht. Maria machen hier weniger als drei Prozent der Fläche aus.

Die seltsame Asymmetrie des Erdtrabanten bereitet Planetenforschern seit Langem Kopfzerbrechen, zumal es neben dem Mare-Vulkanismus noch weitere Unterschiede gibt: Das Gestein auf der Vorderseite enthält mehr radioaktive Elemente, und die Kruste ist hier dünner als auf der Rückseite.

„Wie ist es möglich, dass ein Trabant zwei Hälften hat, die so unterschiedlich sind wie Tag und Nacht?”, rätselt Urs Mall vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau. Auf diese Frage gibt es zwar bis heute keine befriedigende Antwort – aber immerhin neue Erklärungsansätze.

AUS TRÜMMERN GEBOREN

Die Wurzel für das Phänomen, das Planetenforscher „Dichotomie” nennen (vom griechischen Wort für „entzwei geschnitten”), muss in der Frühgeschichte des Mondes liegen. Sehr wahrscheinlich hat sich der Erdtrabant aus den Trümmern der Kollision zwischen der Proto-erde und einem Himmelskörper von der Größe des Mars zusammengeballt (bild der wissenschaft 3/2013, „Der schlimmste Tag der Erde”). Seine Oberfläche war vermutlich anfangs von einem mehrere Hundert Kilometer dicken Ozean aus Magma bedeckt.

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„Dieser Magma-Ozean war anfangs homogen. Erst später sanken die schweren Bestandteile nach unten”, sagt Urs Mall. Der Wissenschaftler gehört zum Team des indischen Mondsatelliten Chandrayaan-1 und des europäischen Satelliten Smart-1, dessen Studien die jüngere Mondforschung entscheidend vorangebracht haben. An der Mondoberfläche kristallisierte relativ früh ein besonders leichtes Mineral aus, eine helle Feldspat-Variante namens Anorthosit. Wie Eisberge schwammen Anorthosit-Brocken auf dem glutflüssigen Magma-Ozean und erstarrten mit der Zeit zu einer festen Kruste. Die heutigen Hochländer bestehen zum Großteil aus diesem Material. Während der Magma-Ozean langsam versteinerte, sammelten sich in den letzten flüssigen Taschen chemische Elemente, die sich in die bis dahin gebildeten Mineralien nicht gut einlagern konnten – darunter radioaktive Substanzen wie Uran, Thorium und Kalium.

der Mond bekommt ein gesicht

Vor etwa 4,4 Milliarden Jahren versteinerte der Magma-Ozean. Erst danach, vor 3,9 Milliarden Jahren, entstanden die großen Einschlagskrater, zum Beispiel das Mare Imbrium auf der Vorderseite und das Südpol-Aitken-Becken auf der Rückseite. Wenig später brachen Vulkane aus. Die Krater auf der erdzugewandten Seite füllten sich mit flüssigem Magma aus der Tiefe, und der Mond erhielt sein heutiges Antlitz. Vor etwa drei Milliarden Jahren erlosch der Mare-Vulkanismus.

Soweit ist die Mondgeschichte relativ unstrittig. Doch warum trat vor allem auf der Vorderseite Basaltlava aus? Laut einem japanischen Forscherteam um Makiko Ohtake von der Weltraumagentur JAXA ist daran zum einen die Erde schuld, zum anderen ein ungewöhnlich großer Einschlag. Durch die Nähe zur Erde war der lunare Magma-Ozean auf der Vorderseite etwas wärmer als auf der Rückseite, argumentieren die Forscher. Die Temperatur lag zwar nur wenige Grad höher – doch das reichte, um die Kruste ungleichmäßig wachsen zu lassen.

„Die Feldspat-Körnchen wurden durch Strömungen auf die Rückseite transportiert”, meint Ohtake. Als Beleg für diese Hypothese nennt die Wissenschaftlerin in der Zeitschrift Nature Geoscience das Verhältnis der Elemente Magnesium und Eisen in Mondgestein. Die Forscher interpretierten Messungen des japanischen Satelliten Selene so, dass sich dieses Verhältnis kontinuierlich von der Rückseite zur Vorderseite ändert – wie zu erwarten, wenn die Kruste asymmetrisch wuchs.

Inzwischen haben die Wissenschaftler auch einen größeren Einschlag relativ früh in der Mondgeschichte identifiziert. Von ihm zeugt der Oceanus Procellarum, eines der gewaltigsten Becken auf der Vorderseite. Bislang war unklar, wie es entstanden ist. Ohtake und ihre Kollegen haben Indizien dafür gefunden, dass ein Meteorit das 3000 Kilometer große Becken schuf. Sie vermuten, dass dabei die ursprüngliche Feldspat-Kruste im Krater zerstört wurde. Zudem soll sich ein Magma-See gebildet haben, in dem sich die radioaktiven Elemente konzentrierten. „Der Einschlag triggerte den späteren Mare-Vulkanismus”, vermutet Ohtake.

Eine völlig andere Vorstellung von der Herkunft der Hochländer haben Martin Jutzi von der Universität Bern und Erik Asphaug von der University of California in Santa Cruz. Auch sie glauben, dass ein Zusammenstoß eine große Rolle spielte – allerdings soll er in Zeitlupe erfolgt sein.

Die Forscher schließen aus Modellierungen, dass beim gleichen Crash zusammen mit dem Vorläufer des heutigen Monds noch ein zweiter Trabant entstanden ist (bild der wissenschaft 11/2011, „ Der schüchterne Trojaner”). Sie vermuten: Mehrere Jahrmillionen lang teilten die beiden sich die Umlaufbahn, doch irgendwann wurde die Konstellation instabil. Als der kleinere Mond – mit einem Durchmesser von vielleicht 1000 Kilometern – schließlich gegen seinen größeren Bruder prallte, schlug er keinen Krater, sondern er zerplatzte.

Seine Trümmer legten sich wie ein Pfannkuchen auf den großen Mond. Diese Reste bilden heute die Hochländer auf der Mond-Rückseite, spekulieren Jutzi und Asphaug. Gleichzeitig quetschte der Einschlag die flüssigen Reste des Magma-Ozeans in Richtung Vorderseite, wo die radioaktive Wärme später den Mare-Vulkanismus auslöste. Beweise für dieses Szenario gibt es zwar nicht. „Die Studie zeigt aber, dass es plausibel ist”, kommentiert die Mondforscherin Maria Zuber in Nature.

BODENPROBE ERWÜNSCHT

Max-Planck-Forscher Urs Mall wagt es derzeit nicht, sich für eine der Theorien zu entscheiden, da die Datenlage immer noch zu schlecht sei. Weder Simulationen noch Satellitenmessungen reichten bislang aus: „Vieles kann man so oder so interpretieren” , meint Mall. Bodenproben von der Rückseite des Mondes könnten helfen, das Rätsel zu lösen. Doch die sind nicht so bald in Sicht. •

von Ute Kehse

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