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… sag mir doch, wie alt du bist!

Allgemein

… sag mir doch, wie alt du bist!

Exakt, überprüfbar und nahezu unfehlbar: Diese verklärte Sicht auf die Naturwissenschaften vernebelte Archäologen lange die Sinne – vor allem, wenn es um die Datierung alter Knochen oder Hölzer ging. Was Geologen, Physiker und Biologen herausfanden, erschien über jeden Zweifel erhaben. Inzwischen wissen Archäologen wie Naturwissenschaftler um die Tücken einer Labordatierung. Stück für Stück beheben sie alte Messfehler und feilen an neuen Methoden.

Die molekulare Uhr tickt nicht richtig

Paläogenetiker und Anthropologen müssen demnächst ihre Uhr nachstellen. Schuld daran ist die Mutationsrate: Damit errechnen Molekularbiologen, nach wie vielen Generationen im Erbgut einer Art Veränderungen auftreten. Dank der molekularen Uhr haben Paläogenetiker in den letzten Jahren spektakuläre Untersuchungsergebnisse auf die Beine gestellt: Mensch und Schimpanse trennten sich vor 5 Millionen Jahren, vor 300 000 Jahren zweigte der Neandertaler vom Hominidenstammbaum ab, und vor rund 70 000 Jahren verließ der anatomisch moderne Mensch Afrika und breitete sich auf anderen Kontinenten aus.

Doch das Uhrwerk, das hinter diesen Ergebnissen tickt, geht falsch. Wie Untersuchungen im Oktober 2012 ergaben, ist die Mutationsrate beim heutigen Menschen um etwa die Hälfte geringer als bisher angenommen. Für die molekulare Uhr bedeutet das: Die geschätzten Werte für die Entstehung der Arten müssen weit in die Vergangenheit geschoben werden. Der Haken daran ist: Die Uhr geht nicht gleichmäßig. Der US-Biologe Francisco Ayala hatte bereits 1999 festgestellt, dass die Mutationsraten umso enger getaktet sind, je kürzer die Dauer einer Generation ist – also je schneller sich eine Art fortpflanzt. Umgekehrt gilt: Je größer eine Population ist und je mehr Individuen einer Art existieren, umso seltener kommen einzelne Mutationen zum Tragen.

Die beiden britischen Molekularbiologen Aylwyn Scally und Richard Durbin berechneten aufgrund der neuen Erkenntnisse die Trennung von Neandertaler und Homo sapiens neu: Nicht erst vor 300 000, sondern schon vor 500 000 Jahren, glauben sie, gingen die beiden aus dem Homo heidelbergensis hervor.

Der Schatz im Suigetsu-See

Ein jahrtausendealter Schatz schlummert auf dem Grund des japanischen Suigetsu-Sees: Denn Jahr um Jahr sinken dort Schlamm und Blätter auf den Grund, die sich im Laufe der Jahrtausende zu papierdünnen Sedimentschichten verdichtet haben. Daraus konnten Wissenschaftler jüngst genauere C14-Datierungen als jemals zuvor gewinnen.

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Zeit seines Lebens nimmt jeder Organismus das Kohlenstoff-Isotop C14 aus der Umwelt auf. C14 ist radioaktiv und zerfällt mit einer Halbwertszeit von 5730 Jahren. Stirbt ein Lebewesen, endet die C14-Aufnahme. Wegen des Zerfallsprozesses nimmt der Gehalt dieses Isotops in den Relikten im Vergleich zum „ normalen“ Kohlenstoff-Isotop C12 ab. Um alte Hölzer oder Knochen zu datieren, messen Forscher deshalb das Verhältnis von C14 zu C12 darin. Doch so einfach, wie es klingt, ist es nicht. Denn die C14-Menge in der Atmosphäre schwankt im Laufe der Zeit.

Der 34 Meter tiefe Suigetsu-See auf der Insel Honshu liegt geologisch so günstig, dass die Sedimente darin seit über 50 000 Jahren ungestört sind. Kein eiszeitlicher Gletscher hatte sich über die Landschaft geschoben. Ein Paradies für den Oxforder C14-Experten Christopher Bronk Ramsey und sein Team, denn die Pflanzenreste von Suigetsu bringen zwei Vorteile gegenüber sonstigen organischen Überresten: Zum einen konnten die Forscher das darin enthaltene C14 messen und damit den Zeitpunkt des Absterbens bestimmen. Zum anderen haben sich die Schichten wie die Jahresringe eines Baumes auf dem Seegrund abgesetzt – weder Wind noch Wasser störten diesen Prozess. Unter dem Polarisationsmikroskop zählten die Wissenschaftler die einzelnen Lagen, die sogenannten Warven, Jahr um Jahr ab und verknüpften sie anschließend mit den Kohlenstoff-Daten. Damit konnten sie viel genauere C14-Daten gewinnen als bei allen bekannten Vergleichsfunden.

Seit dieser Entdeckung 2012 schlägt der Suigetsu-See hohe Wellen in der Forschungslandschaft. Denn seine Sedimente helfen, die ungenauen C14-Daten anderer Proben zu eichen. Das Problem: Die Kohlenstoff-Reste in einem toten Organismus lassen sich nur ungefähr bestimmen. Deshalb müssen Archäologen die Analysedaten mit den Ergebnissen anderer Methoden vergleichen. Dafür eignet sich am besten die Dendrochronologie, bei der Baumringe gezählt werden (siehe Kasten „Gut zu wissen: Dendrochronologie“ in bdw 6/2013, S. 69).

Dieser „Dendro-Check“ hat allerdings einen Pferdefuß: Er reicht nur rund 12 500 Jahre zurück und erlangt damit nicht einmal annähernd die zeitliche Tiefe der C14-Methode von 50 000 Jahren. Die neuen Eichdaten aus Japan schließen nun diese enorme Lücke. Ein weiteres Plus: Bekannte C14-Daten müssen nicht neu bestimmt werden, sondern es genügt, wenn man sie mit dem Schlamm von Honshu vergleicht.

Verkalkter Zeitspeicher

Das genaue Alter steinzeitlicher Felsbilder bereitete Wissenschaftlern lange Kopfzerbrechen. Doch nun haben sie einen Weg gefunden, der ihnen recht exakte Daten liefern kann: die Uran-Thorium-Methode. Die gibt es zwar schon seit den 1950er-Jahren, aber erst jetzt nutzen sie Archäologen und Anthropologen, um eiszeitlichen Höhlenmalern auf die Spur zu kommen.

Bislang galt, dass die monumentalen Bilder in Höhlen wie Lascaux in Frankreich oder Altamira in Spanien von anatomisch modernen Menschen geschaffen wurden. Doch im Juni 2012 veröffentlichten die Briten Alistair Pike von der University of Bristol und Paul Pettit von der University of Sheffield Ergebnisse mit Zündstoff: Die Urheber der Eiszeitgalerien könnten demnach Neandertaler gewesen sein.

Darauf kamen die Wissenschaftler, nachdem sie Ablagerungen analysiert hatten, die über Zehntausende von Jahren auf den Bildern gewachsen waren, ähnlich Tropfsteinen. Dieser Kalkspat enthielt Spuren des Uran-Isotops 238. Im Laufe der Zeit zerfällt das Isotop mit einer bekannten Geschwindigkeit und bildet unter anderem das radioaktive Thorium-Isotop 230. Indem die Forscher den Gehalt von Uran-238 und Thorium-230 in den Kalkspat-Ablagerungen maßen, konnten sie feststellen, wie alt die Malereien sind. Und das Ergebnis rückte einige Bilder über die Eiszeitkunst gerade.

Die vermutlich ältesten bekannten Höhlenmalereien zieren demnach die Felswände von El Castillo in Nordspanien: Sie sind 41 000 Jahre alt. Ein Bild in der berühmten Altamira-Höhle soll bis zu 35 600 Jahre alt sein. Bislang waren die Archäologen überzeugt, dass die Kunst in der spanischen Grotte nicht älter als 17 000 Jahre ist. Nach der neuen Datierung könnten durchaus Neandertaler und nicht anatomisch moderne Menschen diese ersten Kunstwerke der Welt geschaffen haben.

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