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Der Plasma-Paternoster

Allgemein

Der Plasma-Paternoster
Mit Methoden aus der Erdbebenforschung haben Physiker das Innere der Sonne durchleuchtet – und überraschende Ergebnisse erhalten.

Ein wichtiges Arbeitsfeld von Sonnenphysikern wie Manfred Schüssler ist die Konvektionszone der Sonne. (Konvektion – von lateinisch „convectum“ für „mitgetragen“ – bezeichnet den Wärmetransport mittels einer Strömung von Flüssigkeit, Gas oder Plasma.) Diese Zone beginnt unter der sichtbaren Sonnenoberfläche und erstreckt sich rund 200 000 Kilometer tief ins Innere. Dort ist eine Art Paternoster in Gang: Ständig steigt heißes, elektrisch leitfähiges Gas empor. Es braucht typischerweise einige Monate vom Boden der Zone bis zur Oberfläche. Nur ein Bruchteil dieses Plasmas schafft es bis ganz oben, das meiste strömt vorher wieder zurück.

„Das Plasma ist nicht gleichförmig: Tief unten ist es dicht, auf dem Weg zur Oberfläche wird es dünner“, erklärt Schüssler. „ Die Dichte variiert in der Konvektionszone etwa um den Faktor eine Million.“ Die größten Unterschiede herrschen dicht unter der Sonnenoberfläche. Auch die Temperatur ändert sich stark. Sehr heiß ist es tief unten, nah am Sonnenkern, der von Fusionsprozessen erhitzt wird. „Am Boden der Konvektionszone ist das Plasma zwei Millionen Grad heiß, an ihrer oberen Grenze, der Sonnenoberfläche, herrschen dagegen bloß 6000 Grad“, sagt Schüssler.

RÄTSELhafter ENERGIETRANSPORT

Das Bild, das sich die Sonnenforscher von der Konvektionszone machen, ist bereits recht detailliert. Trotzdem gibt die für den solaren Energietransport wichtige Zone immer noch Rätsel auf. Im vergangenen Sommer meldeten Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America“: Die Bewegungen in der Konvektionszone sind viel langsamer als bislang gedacht. Eine Erklärung haben sie dafür bislang nicht gefunden.

Um ins Sonneninnere blicken zu können, nutzen die Wissenschaftler Beobachtungen des Sonnensatelliten Solar Dynamics Observatory (SDO) der NASA. Durch Auswertungen von Oszillationen der Sonnenoberfläche gelang es Shravan Hanasoge, der am Max-Planck- Institut für Sonnensystemforschung und an der Princeton University forscht, zusammen mit Kollegen, die Vorgänge tief im Innern der Konvektionszone zu enträtseln. Dabei arbeitete er mit der Helioseismologie. Diese noch recht neue Methode macht sich Prinzipien aus der irdischen Seismologie zunutze. Denn auch der innere Aufbau der Erde wurde mithilfe von Bebenwellen entschlüsselt.

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SCHWINGENDES PLASMA

Seit Anfang 2010 beobachtet SDO die Sonnenoberfläche. An Bord ist ein Instrument speziell für helioseismologische und magnetische Messungen. Dieser „Helioseismic and Magnetic Imager“ (HMI) arbeitet folgendermaßen: Sobald eine akustische Welle aus dem Innern die Sonnenoberfläche erreicht, wird diese in Schwingungen versetzt, und die Oszillationen werden vom HMI erfasst. Die Forscher bestimmten damit, wie lange die Welle gebraucht hat, um von einem Ort auf der Oberfläche durch das Sonneninnere zu einem anderen Oberflächenort zu gelangen. Bei der Wellenausbreitung wirken Konvektionsströmungen im Inneren als Störeffekte. Deshalb ist es möglich, aus den Ausbreitungsgeschwindigkeiten der Wellen auf das Tempo der Konvektionsströmungen zu schließen.

Die Resultate stellen bisherige Vorstellungen infrage: Als die Forscher die Geschwindigkeiten von Plasmaströmungen in einer Tiefe von 55 000 Kilometern – also knapp neun Erdradien unter der sichtbaren Sonnenoberfläche – bestimmten, stellte sich heraus, dass sich das Plasma dort mit nur einigen Metern pro Sekunde bewegt. „Das ist ein Hundertstel von dem, was die numerischen Modelle der solaren Konvektion vorhersagen“, kommentiert MPS-Direktor Laurent Gizon. Statt mit dem Tempo eines Düsenjets strömt das Plasma nur gemächlich mit der Geschwindigkeit eines Fahrrads.

Die Forscher stellt das vor ein Rätsel. „Diese niedrigen Geschwindigkeiten sind das bemerkenswerteste helioseismologische Ergebnis seit dem Start von SDO“, sagt Gizon. Sein Kollege Schüssler sieht es gelassener. Er will das Problem mit neuen Computersimulationen lösen: „Letztlich geht es um die Frage, wie stark sich aufwärts strömendes heißeres und abwärts strömendes kühleres Plasma mischen.“ Die Auswertungen der HMI-Daten sprechen für erheblich schwächere Mischungsprozesse als bislang angenommen, meint der Astrophysiker.

Bei den Sonnenflecken ist das Bild klarer. Sie entstehen, wenn ein Bündel magnetischer Feldlinien aus dem Sonneninneren nach außen tritt. Seit Jahrhunderten sind diese Dunkelgebiete der Sonnenoberfläche bekannt. Jetzt ist es gelungen, sie im Computer nachzustellen.

2000 grad kühler

Die Sonnenforscher wissen seit Langem, dass die Flecken in der Mitte, in der sogenannten Umbra, dunkler sind als in den Randgebieten („Penumbra“). Es ist auch bekannt, dass die Flecken bis zu 2000 Grad „kühler“ sind als ihre Umgebung, und dass dort starke Magnetfelder herrschen. Sie sind mit bis zu 4000 Gauß rund 10 000 Mal so stark wie das Magnetfeld auf der Erdoberfläche. An den Flecken wird die Konvektion unterdrückt – und somit auch der Nachschub von Plasma aus der Tiefe. Die Folge: Die Flecken sind kühler, strahlen deshalb weniger hell und erscheinen dunkler.

Die Nachbildung der Flecken im Computermodell war noch vor wenigen Jahren unmöglich. Nun kamen den Forschern die immer leistungsfähigeren Supercomputer zuhilfe, die Modelle der Strömungsphysik mit besserer räumlicher Auflösung simulieren können.

MAGNETISCHE TURBULENZEN

Bei Sonnenflecken geht es um Strömungen im Magnetfeld, oder, fachlicher ausgedrückt, „um den Energietransport durch Konvektion unter dem Einfluss des solaren Magnetfelds“, so Schüssler. „In der Umbra wird das aufströmende Plasma durch das Magnetfeld behindert. Es wird in enge, wenige Hundert Kilometer dicke Kanäle gequetscht.“ An der Oberfläche angekommen, kühlt es sich stark ab und sinkt in unmittelbarer Nähe der Kanäle schnell wieder nach unten. In der Penumbra kann sich das aufsteigende Plasma dagegen entlang der Feldlinien ausdehnen. Die Lösung des Flecken-Rätsels ist demnach überraschend einfach: Den wichtigsten Einfluss hat die Richtung des Magnetfelds. In der Umbra verläuft es senkrecht, in der Penumbra geneigt zur Sonnenoberfläche.

Werden die Ergebnisse solcher Rechnungen bildlich dargestellt, sind sie von echten Sonnenflecken kaum zu unterscheiden. Schüssler ist zufrieden: „Die Simulationen zeigen die gesamte Feinstruktur der Sonnenflecken, wie sie auch ein Beobachter sieht.“ b

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