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Live aus dem Sonnenkern

Allgemein

Live aus dem Sonnenkern
Etwa 80 Erdradien unter der Sonnenoberfläche arbeitet ein natürlicher Fusionsreaktor. Neutrinos zeugen von seiner Energieproduktion.

Im italienischen Untergrundlabor Gran Sasso, abgeschirmt unter 1400 Meter Fels der Abruzzen, betreiben Wissenschaftler seit 2007 ein gewaltiges Experiment. Mit ihrer Neutrinofalle Borexino (Abkürzung von „Boron Solar Neutrino Experiment“) spüren sie den Partikeln nach, die von der Sonne unablässig ins All gejagt werden. Mehr als 60 Milliarden solare Neutrinos durchqueren pro Sekunde jeden Quadratzentimeter der Erdoberfläche. „Wir messen direkt die Prozesse im Sonnenkern, dort wo die Energie unseres Sterns erzeugt wird“, erklärt Hardy Simgen vom Max-Planck-Institut für Kernphysik.

Das Herzstück

Das Herzstück des Experiments ist ein Detektor, der rund 300 Tonnen eines speziellen Öls enthält. Es wird im Zentrum des Detektors von einem extrem dünnen Ballon aus Nylon in Form gehalten, dessen Wandstärke der Dicke eines menschlichen Haares entspricht. Wenn ein Neutrino mit einem Elektron der Öl-Moleküle kollidiert, entsteht ein schwacher Lichtblitz – und der entgeht der Messapparatur nicht: „Pro Tag weisen wir knapp 50 solare Neutrinos nach“, sagt der Heidelberger Astroteilchenphysiker, der an dem internationalen Projekt beteiligt ist.

Neutrinos sind seit Jahrzehnten bekannt. 1930 wurden sie vom österreichischen Physiker Wolfgang Pauli postuliert und 1956 erstmals bei einem Experiment gefunden. Die Partikel sind elektrisch neutral. Ihre Masse ist sehr gering, anders als bei den masselosen Photonen, aber größer als Null. Sonnenneutrinos entstehen im Zentrum der Sonne. Sie werden bei verschiedenen Kernreaktionen in großem Stil erzeugt – wodurch Rückschlüsse auf die Kernfusionsprozesse dort möglich sind.

Neutrinos sind etwas Besonderes: Sie flitzen wie Geisterteilchen fast ungehindert durch das Sonnenplasma genau wie durch irdisches Felsgestein. Viele Physiker halten sie für Sonderlinge im Elementarteilchenzoo – in der Sonnenphysik sind die seltsamen Partikel jedoch sehr nützlich: Je nachdem, aus welcher Kernreaktion sie stammen, bekommen sie unterschiedlich viel Energie mit auf ihren Weg ins Weltall. Schon acht Minuten nach der Entstehung erreicht ein Teil von ihnen das Gran- Sasso-Massiv.

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blitze verraten Geisterteilchen

Wenn Astronomen die Sonnenoberfläche im Fernrohr beobachten, messen sie indirekt auch die Energieproduktion im Sonnenkern. Doch die Strahlung aus dem Kern braucht grob 100 000 Jahre, um bis zur Oberfläche zu dringen (siehe Kasten S. 60, „ Wasserstoffbrennen bei 15,7 Millionen Grad“). Anders ist es bei den solaren Neutrinos: Wenn die Forscher diese auf der Erde registrieren, können sie beinahe live beobachten, wie im Sonneninneren Energie freigesetzt wird. „Die Neutrinos berichten in Echtzeit über die Energieproduktion der Sonne“, sagt Simgen. „ Aber sie haben auch ihre Tücken.“ Denn irdische Radioaktivität oder Strahlung aus dem fernen Weltall kann ebenfalls Lichtblitze auslösen und somit Sonnenneutrinos vortäuschen.

Der mächtige Fels über dem Untergrundlabor bietet einen guten Schutz vor der Kosmischen Strahlung. Weitere Flüssigkeitsschichten, von einer Stahlhülle gestützt, schirmen den Detektor zusätzlich ab. Rund 2400 Tonnen reines Wasser dienen als äußerer Strahlenpuffer. Dank der Lichtblitze im Neutrino- Detektor haben die Forscher bereits einige Fusionsreaktionen direkt beobachten können. Dazu gehören auch seltene Zweige der Proton-Proton-Reaktion. Von ihr stammt der Löwenanteil der solaren Energieerzeugung, rund 99 Prozent.

Bei größeren Sternen, die im Inneren heißer sind als die Sonne, herrscht ein anderer Reaktionstyp vor: der CNO- Zyklus. Er benötigt – quasi als Katalysator – die Atomkerne von Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff. Simgen erklärt: „Für den CNO-Zyklus haben wir klare Obergrenzen ermittelt: Er trägt weniger als ein Prozent zur gesamten Sonnenleuchtkraft bei.“ Im Sonnenkern spielt dieser Reaktionstyp zwar nur eine Nebenrolle. Doch astronomisch ist er sehr wichtig, weil er in massereicheren und alten Sternen letztlich für die Entstehung der schweren Elemente sorgt – ohne ihn gäbe es weder Planeten noch Lebewesen oder gar Menschen. b

THORSTEN DAMBECK, Physiker, Buchautor und Wissenschaftsjournalist, berichtete in bdw 6/2013 auch über Sonnensystem-Außenseiter.

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