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Aktives Leben in der Tiefe

Erde|Umwelt

Aktives Leben in der Tiefe
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Das Bohrschiff Joides Resolution brachte die Sedimentproben an die Oberfläche (Bild: Joseph Russell / University of Delaware)
In der Tiefe wimmelt es: Verborgen im Sediment der Ozeane existiert eine eigene Welt voller aktiver, sich vermehrender Organismen. Dass es Lebewesen selbst hunderte Meter unter der Oberfläche gibt, war bereits bekannt. Jetzt aber zeigt sich: Die Bewohner dieser dunklen und oft auch sauerstofflosen Tiefen überdauern nicht nur, sie fressen, vermehren sich und bewegen sich sogar aktiv fort. Entdeckt hat dies ein internationales Forscherteam durch die erste umfassende Analyse des sogenannten Meta-Transkriptoms – der Gesamtheit der im tiefen Sediment vorhandenen Boten-RNA. Diese Biomoleküle entstehen, wenn Gene in Zellen abgelesen werden und zeigen daher, was ein Organismus gerade aktiv tut. Die Ergebnisse enthüllten nicht nur unerwartet hohe Aktivität, sie zeigen auch, dass in der extremen Tiefe mehr Pilze gedeihen als gedacht.

Das Leben mit der meisten Biomasse existiert nicht auf der Erde oder in der Luft, sondern tief unter der Oberfläche. Seitdem Geologen Anfang des 20. Jahrhunderts quasi durch Zufall in Bohrkernen aus dem Sediment Bakterien entdeckten, werden Forscher nahezu überall im Untergrund fündig: Ob im Sediment der Meere, in Basalt und vulkanischer Lava oder sogar im steinharten Granit der kontinentalen Kruste – noch kilometertief unter der Oberfläche tummelt sich das Leben. Inzwischen weiß man, dass sogar bis in 3,5 Kilometer Tiefe Bakterien, Viren und Pilze existieren. Sie sitzen in den winzigen Spalten und Poren zwischen den Bodenstrukturen – und das in gewaltigen Mengen. Bis zu hundert Millionen Mikroben können sich in einem einzigen Gramm Sediment oder in einem Milliliter Grundwasser aufhalten.

Parallelwelt im Untergrund

Seither ist klar: Es gibt eine Art Parallelwelt im Untergrund – die tiefe Biosphäre. Ob diese Organismen dort allerdings nur in einer Art Ruhezustand überdauern, was genau sie fressen und wie sie ihre Energie erzeugen – diese Fragen waren bisher nur zum Teil beantwortet. Ein Grund dafür ist, dass bisher nur ein Bruchteil aller Bewohner dieser Tiefenzone überhaupt bekannt ist.

William Orsi von der Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI) und seine Kollegen wählten daher einen molekularen Ansatz, um mehr über die tiefe Biosphäre zu erfahren. Sie entnahmen Proben aus einem Sedimentbohrkern, der im Rahmen des Ocean Drilling Program vor der Küste Perus gewonnen worden war und analysierten die darin befindliche Boten-RNA. Diese Biomoleküle entstehen, wenn Gene der DNA aktiv sind und abgelesen werden, um Proteine zu produzieren. Die Boten-RNA dient dabei als Transporteur: Sie bringt den Bauplan für ein Protein von der DNA im Zellkern zu den Proteinfabriken der Zelle. Findet man eine dieser Boten, lässt sich daraus ablesen, was in der Zelle gerade vorging: welche Strukturen sie gerade ausbildete und welche Stoffwechselvorgänge abliefen.

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Sie schwimmen, fressen und vermehren sich

Tatsächlich wurden die Forscher fündig: Sie stießen auf Boten-RNA, die über einer Milliarde Bauplan-Abschnitten im Erbgut von Mikroben und anderen Bewohner der Tiefe entsprach. Nähere Analysen ergaben, dass viele RNA-Abschnitte Anweisungen zur Zellteilung enthielten. „Das ist der erste molekulare Beweis dafür, dass sich die Zellen in der tiefen Biosphäre tatsächlich teilen“, konstatiert Orsi. Und dass sie sich sogar aktiv fortbewegen: Viele RNA-Stücke entpuppten sich als Bauanleitungen für Teile beweglicher Geißeln und anderer, für die Bewegung wichtiger Bauteile und Moleküle. „Der Kern dieses Funds ist: Wenn es Raum genug gibt, um sich zu bewegen, dann tun sie dies auch“, erklärt Orsi. Einige schwimmen mit Hilfe ihrer propellerartig rotierenden Geißeln durch die wassergefüllten Poren im Gestein, andere gleiten über die Oberfläche von Körnern.

Auch über die Ernährungsgewohnheiten der Mikroben mehr als hundert Meter unter dem Meeresgrund verriet die RNA etwas: Sie enthielt Bauanleitungen für Enzyme, die Schwefelverbindungen und Nitrate abbauen. „Dass die Bewohner der lichtlosen Tiefen statt Sauerstoff Sulfat verstoffwechseln, hat man schon vorher angenommen“, erklärt Orsi. Aber jetzt zeige sich, dass auch die Reduktion von Nitrat dort eine wichtige Rolle spiele. Und Räuber oder Kannibalismus gibt es in der tiefen Biosphäre ebenfalls: Die Forscher fanden Hinweise darauf, dass einige Zellen auch Aminosäuren verzehren. Diese aber können nur aus den Zellen anderer lebender oder gerade abgestorbener Organismen stammen.

Wie die Forscher betonen, liefern ihre Ergebnisse nicht nur einen einzigartigen Überblick über die tiefe Lebenswelt. Der Fund von so viel Aktivität im Untergrund hat auch Bedeutung für unser Verständnis der biochemischen Kreisläufe auf unserem Planeten. „Da unten gibt es eine gewaltige Biosphäre und sie hat daher auch schon rein rechnerisch einen großen Anteil“, sagt Orsi. Vor allem für die Kreisläufe von Kohlenstoff und Stickstoff spiele die tiefe Biosphäre eine wichtige Rolle.

William Orsi (Woods Hole Oceanographic Institution, Woods Hole) et al., Nature, doi: 10.1038/nature12230 © wissenschaft.de – ===Nadja Podbregar
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