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Ein Fingerzeig für alle

Erde|Umwelt

Ein Fingerzeig für alle
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Niedlich und zumindest im jungen Alter Menschenkindern sehr ähnlich, was Gesten zum Kommunizieren angeht: kleiner Bonobo. Bild: Thinkstock
Wenn kleine Kinder etwas haben wollen, zeigen sie darauf – genauso wie junge Schimpansen und Bonobos. Vorher versuchen sie, ihre Eltern auf sich aufmerksam zu machen – ebenfalls genauso wie junge Schimpansen und Bonobos. Und das sind noch lange nicht alle Gemeinsamkeiten, die es zwischen der Kommunikation von Affen- und den Menschenkindern gibt, hat jetzt ein US-Forscherteam zeigen können. Seine Schlussfolgerung: Am Anfang – also zur Zeit des letzten gemeinsamen Vorfahren der drei Arten – war die Geste. Sie war das Fundament, auf dem der Mensch später seine Sprache aufbaute – ebenso wie Schimpansen und Bonobos ihre Kommunikationssysteme.

Es gibt bereits eine ganze Reihe von Studien zum Thema Gesten und Kommunikation bei diversen Menschenaffen und natürlich auch beim Menschen. Was die aktuelle Untersuchung jedoch von ihnen unterscheidet, ist die ungewöhnliche Methode: Die Wissenschaftler um Kristen Gillespie-Lynch von der University of California in Los Angeles schauten sich insgesamt 38 Stunden Video-Aufnahmen an, auf denen ein kleines Schimpansenmädchen, ein gleichaltriges Bonobomädchen und ein Menschenbaby zu sehen waren. Die Kamera hatte alle drei mehrere Monate lang begleitet. Das Schimpansenkind Panpanzee war zu Beginn der Studie 12 Monate alt, seine Spielkameradin Panbanisha, ein Bonoboweibchen, das ebenfalls in einem Primatenzentrum in Atlanta aufwuchs, sechs Wochen älter. Das kleine Mädchen, das die Forscher „GN“ nennen, war einen Monat jünger. Die beiden Affen wurden bis zum Alter von 26 Monaten und GN bis zum Alter von 18 Monaten zu bestimmten Zeiten gefilmt.

Auf der Suche nach einem gemeinsamen Gesten-Repertoire

Hauptaugenmerk der Forscher lag dabei auf den Gesten, die die drei zum Kommunizieren benutzten, und auf dem Gebrauch von Symbolen. Im Fall von GN handelte es sich dabei um Wörter, während Panpanzee und Panbanisha lernten, sich mit sogenannten Lexigrammen zu verständigen – Bildern, die für bestimmte Begriffe oder Gegenstände stehen. Die Wissenschaftler wollte vor allem testen, inwieweit sich die Gesten der drei Arten ähneln und ob die spätere abstraktere Symbolsprache auf diesen Gesten aufbaut, wie es eine gängige Theorie zur Entstehung der Sprache annimmt.

Die erste Beobachtung zeigte gleich: Grundlegend ähnelten sich viele der Gesten von Affen und Mensch sehr stark. So zeigten alle drei auf Gegenstände, wenn sie sie haben wollten, oder nahmen die Ärmchen hoch, um auf den Arm genommen zu werden. Zudem nutzten alle drei die überwältigende Mehrheit der Gesten dazu, mit den Eltern oder den Betreuern zu kommunizieren, das heißt: Die Kleinen versuchten vorher oder während der Geste, mit Lauten oder Blicken die Aufmerksamkeit ihres Gegenübers auf sich zu lenken und wiederholten ihre Geste mehrmals, wenn es nicht sofort reagierte. Bei Panpanzee waren knapp 80 Prozent aller erfassten Gesten kommunikativ, bei Panbanisha knapp 75 Prozent und bei GN sogar 93 Prozent.

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Viele Gemeinsamkeiten, aber auch deutliche Unterschiede

An dieser Stelle zeigte sich jedoch bereits ein deutlicher Unterschied: Während GN meist auf mehr als eine Weise ihre Kommunikationsabsicht kundtat – sie kombinierte beispielsweise häufig einen Laut und einen intensiven Blickkontakt –, nutzten die Affen meist nur ein Signal, und das war nur in den seltensten Fällen eine Lautäußerung. Vielleicht ist diese Fähigkeit, Laute und Gesten bereits früh zu kombinieren, einer der entscheidenden Gründe dafür, dass Menschen sprechen können und Schimpansen nicht, interpretieren die Forscher. Vor allem bei GN konnte man zudem beobachten, dass einer bestimmten Geste irgendwann das passende Wort folgte, das den gleichen Umstand beschrieb – bei den Affen war das sehr viel seltener.

Insgesamt nahmen allerdings nach und nach bei allen dreien die Symbole – Lexigramme und Wörter – im Verhältnis zu den Gesten zu. Doch auch hier gab es wieder einen klaren Unterschied: GN verließ sich immer mehr auf die Wörter als primäres Kommunikationsmittel, gegen Ende der Studie dienten die Gesten hauptsächlich als begleitende Bewegungen. Bei den Affen blieben die Gesten dagegen das primäre Werkzeug, mit dem sie kommunizierten, die Lexigramme spielten sozusagen nur die zweite Geige.

Vom gemeinsamen Urahn geerbt

Trotz der Unterschiede werten die Forscher die Studie vor allem als Beleg dafür, dass bestimmte Gesten für alle drei Arten universell sind und damit angeboren sein müssen. Das wiederum deute darauf hin, dass auch schon der gemeinsame Vorfahr von Mensch, Schimpanse und Bonobo, der vor etwa sechs Millionen Jahren lebte, über das gleiche Gesten-Repertoire verfügte, schlussfolgern sie. Zudem stützten die anderen Beobachtungen die These, Gesten seien die Vorgänger und das Fundament der Sprachentwicklung beim Menschen gewesen. Denn Argumente für dieses Szenario gebe es reichlich. So habe etwa der frühe aufrechte Gang die Hände frei gemacht für ausgiebiges Gestikulieren. Zudem entwickelte sich die Hand sehr viel früher zu ihrer heutigen Form als der Vokaltrakt, und schließlich werden Gesten und Sprache im Gehirn an der gleichen Stelle verarbeitet.

Es gibt bei der aktuellen Studie allerdings Grenzen, räumen auch die Forscher ein. So wurden den beiden Menschenaffen die verwendeten Gesten zwar nicht direkt beigebracht, sie lebten aber in einem Umfeld, in dem sie zum Kommunizieren animiert werden – das könnte die genutzte Gestik verfälschen. Zudem war ihr Umfeld sehr viel abwechslungsreicher als das des Kindes, das hauptsächlich zu Hause gefilmt wurde. Dadurch waren die Bedingungen für die Entwicklung des Symbolsystems möglicherweise etwas unterschiedlich. Um also die Aussagen wirklich belastbar zu machen, müsste die Untersuchung mit mehr Individuen der drei Arten auf jeden Fall wiederholt werden, so das Team.

Übrigens: Panbanisha lernte im Lauf ihres Lebens die Kommunikation mit den Lexigrammen so gut, dass sie als Superstar unter den „sprechenden“ Menschenaffen galt. Sie starb im Alter von 27 Jahren am 6. November vergangenen Jahres.

Kristen Gillespie-Lynch (UCLA) et al.: Frontiers in Psychology, doi: 10.3389/fpsyg.2013.00160 © wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel
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