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Hauptschalter fürs Jucken

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Hauptschalter fürs Jucken
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Jucken ist extrem lästig - und bisher schwer abzustellen. (Bild: Thinkstock)
Egal ob Mückenstich oder Hautausschlag: Kaum etwas ist lästiger als ein dauerndes Jucken. Instinktiv kratzen wir uns an der betreffenden Hautstelle, damit das fiese Gefühl aufhört. Bisher galt der Juckreiz quasi als „kleiner Bruder“ des Schmerzes, als ein Reiz, der von den gleichen Sinneszellen registriert und auf gleiche Weise ans Gehirn weitergeleitet wird. Das aber stimmt nicht ganz, wie US-Forscher jetzt feststellten: Sie haben in unserem Rückenmark einen Signalstoff ausfindig gemacht, der ganz spezifisch nur eine Aufgabe hat: Er dient als Startknopf für den Juckreiz.

„Unsere Arbeit belegt, dass das Jucken auf einzigartige Weise im Nervensystem verschaltet ist und dass es quasi über eine eigene Direktleitung zum Gehirn verfügt“, erklärt Mark Hoon vom National Institute of Dental and Craniofacial Research (NIDCR) in Bethesda. Gemeinsam mit seinem Kollegen Santosh Mishra ist er bei Mäusen der Frage nachgegangen, wo der Startschalter für die Kaskade der Signale liegt, die letztlich das Gefühl des Juckens hervorruft. Erst vor kurzem hatten andere Forscher zwei Mitspieler dieser Signalkaskade dingfest gemacht: Einer davon ist ein an Nervenzellen vorkommender Rezeptor, TRPV1 genannt. Wird er blockiert, empfinden Mäuse selbst bei starker Reizung kein Jucken mehr – verlieren an dieser Stelle allerdings auch ihr Schmerz- und Temperaturgefühl. Diese Beobachtung führte zu der Vermutung, dass Jucken möglicherweise nur eine schwache Variante des Schmerzes sein könnte. Der kurz danach entdeckte zweite Akteur ist jedoch sehr viel spezifischer: der Signalstoff GRP dockt an Rezeptoren im Rückenmark an und löst dadurch Juckreiz aus. Wird er blockiert, hört auch das Jucken auf.

Jucksignal im Rückenmark

Wie diese beiden Funde zusammenpassen, und ob GRP tatsächlich der gesuchte Auslöser des Juckens ist, blieb aber unklar, wie die Forscher berichten. Für ihre Studie setzten sie zunächst an Nervenzellen an, die den Rezeptor TRPV1 besitzen. Ihre Vermutung: Es muss einen Signalstoff geben, der an ihm andockt, aber dann nur ganz spezifisch das Jucken startet, ohne die anderen Empfindungen zu beeinflussen. Nach einer Serie von Tests kristallisierte sich tatsächlich ein vielversprechender Kandidat heraus: das Natriuretische Polypeptid b, kurz Nppb. Dieser Signalstoff wird vor allem in einer kleinen Gruppe von Nervenzellen im Rückenmark produziert. Um dessen Funktion zu prüfen, setzten Hoon und Mishra bei Mäusen diesen Signalstoff künstlich außer Gefecht. Dann setzten sie diese Tiere verschiedenen juckenden Chemikalien, aber auch Schmerz- und Temperaturreizen aus.

Das Ergebnis: „Die Mäuse ohne Nppb reagierten auf Berührungen, Hitze und Schmerzen völlig normal“, berichten die Wissenschaftler. Wurde ihre Haut aber den Juckreiz-fördernden Substanzen ausgesetzt, blieben sie davon völlig unberührt und dachten nicht einmal daran, sich zu kratzen. Der Signalstoff wird demnach offenbar benötigt, um die Juckreaktion auszulösen, schlussfolgern die Forscher. Das bestätigte auch ein weiterer Test: Injizierten sie Mäusen ohne eigenes Nppb diesen Signalstoff direkt in den Rückenmarkskanal, fingen diese an sich wie wild zu kratzen – obwohl ihre Haut mit keinem Juckreiz-fördernden Stoff in Kontakt war. „Die plausibelste Erklärung ist, dass dieser Signalstoff dafür verantwortlich ist, das Jucken auszulösen – und dies sogar ohne äußere Reize“, konstatieren die Forscher. Dockt er an den TRPV1-Rezeptor an, sendet dieser das entsprechende Signal ans Gehirn.

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Startschalter der Juck-Kaskade

Wie aber passt Nppb mit dem zweiten bisher bekannten Akteur der Juck-Kaskade zusammen, dem GRP? Die Vermutung von Hoon und Mishra: Während das Nppb der Startschalter ist, sorgt GRP für die Weiterleitung des Juckreizes – er liegt in der Signalkette also hinter dem Nppb. Tatsächlich konnten die Forscher dies durch einen weiteren Test bestätigen. Injizierten sie ihren Nppb-freien Mäusen das GRB, begannen diese sich zu kratzen. Bekamen aber umgekehrt GRB-blockierte Mäuse eine Injektion mit Nppb, hatte dies kaum eine Wirkung – denn es fehlte das GRB, um den Juckreiz weiterzuleiten.

„Damit haben wir bei Mäusen den Startschalter für das Jucken identifiziert und auch die drei ersten Schritte der Signalkaskade geklärt“, sagt Hoon. Der nächste Schritt sei es nun, diese Akteure auch beim Menschen nachzuweisen. Das Wissen um den primären Schalter des Juckreizes könnte es nach Ansicht der Forscher ermöglichen, künftig gezielt nach Wirkstoffen zu suchen, die die Signalkette unterbrechen und so das lästige Jucken unterdrücken. Der Fund des Startschalters sei dafür ein wichtiger Anfang.

Mark Hoon, Santosh Mishra (National Institute of Dental and Craniofacial Research, Bethesda), Science, doi: 10.1126/science.1233765 © wissenschaft.de – ===Nadja Podbregar
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