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Wie der Regen den Menschen schuf

Geschichte|Archäologie

Wie der Regen den Menschen schuf
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Eine der Innovationen aus der Still-Bay-Industrie: zweischneidige Steinmesser. Bild: Christopher Henshilwood, University of the Witwatersrand
Der heutige Mensch verdankt seine Kultur, sein Wissen und seine Fertigkeiten vor allem einem: ausgiebigem Regen. Das legen jetzt zumindest neue Ergebnisse eines internationalen Forscherteams nahe. Denn als der moderne Mensch während der Altsteinzeit im Süden Afrikas begann, seine Kultur zu entwickeln, traten immer wieder plötzliche, kurzlebige Schübe großer Innovationskraft und neuartiger Techniken auf – warum, war bisher ziemlich unklar. Die Wissenschaftler aus Südafrika, Großbritannien und Spanien haben jetzt jedoch eine interessante zeitliche Übereinstimmung entdeckt: Immer, wenn diese Schübe einsetzten, veränderte sich kurzfristig auch das Klima – von der üblichen trockenen Unwirtlichkeit hin zu feuchteren, fruchtbareren Konditionen.

Der anatomisch moderne Mensch entwickelte sich im sogenannten Middle Stone Age in Afrika, eine Zeit, die etwa der mittleren Altsteinzeit in Europa entspricht. Sie begann vor circa 280.000 und endete vor 30.000 Jahren. Aus bestimmten Teilen dieser Periode gibt es einen reichen Schatz an Fundstücken, die eine eigenartige Entwicklung zeigen: Während manchmal viele Jahrtausende lang kaum Innovationen oder ungewöhnliche Artefakte auftauchen, kommen immer mal wieder wahre Schübe an neuen kulturellen Erfindungen vor.

Zwei der bekanntesten dieser Perioden sind die Still-Bay-Industrie, die knapp tausend Jahre andauerte und vor 71.500 Jahren begann, sowie die Howieson’s Poort-Industrie, die von vor 64.000 bis vor 59.000 Jahren reichte. In diese Perioden fallen beispielsweise die ersten Funde symbolischer Darstellungen – eine Voraussetzung für die Entwicklung einer komplexen Sprache –, neuartige Formen von Stein- und Knochenwerkzeugen sowie das Auftauchen persönlicher Schmuckstücke und erster Versuche, Pflanzen zu kultivieren. Solche und andere Entwicklungen gelten als die Grundlagen für den späteren Erfolg von Homo sapiens, sowohl was das Bevölkerungswachstum angeht als auch seine Eroberung der gesamten Erde.

Sprunghaft statt stetig

Warum die Innovationskraft unserer Vorfahren allerdings immer nur sporadisch zu sehen ist, war bislang umstritten. Manche Forscher halten das für Zufall: Sie vermuten, zu diesen Zeiten trafen einfach mehrere größere Gruppen zusammen und inspirierten sich gegenseitig dazu, Neues zu erfinden. Andere halten es für Reaktionen auf Notzeiten: Wenn die eigene Art bedroht ist, sei es manchmal eben notwendig, neue Wege zu beschreiten, so ihr Argument. Zudem gibt es auch die These, dass den produktiven Zeiten jeweils ein starkes Bevölkerungswachstum vorranging und dass so bessere Netzwerke entstanden.

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Eine weitere, von vielen favorisierte, bisher jedoch nicht bewiesene Annahme lautet: Die Innovationsschübe müssen mit dem Klima in Afrika gekoppelt gewesen sein. Betrachtet man allerdings die bisher verfügbaren Daten genauer, erscheint das gar nicht mehr so wahrscheinlich. Denn ungefähr zu den Zeiten, als die kulturellen Errungenschaften auftauchten, herrschten auf der Nordhalbkugel extreme Kältewellen. Sie gingen mit einer Veränderung der Meeresströme im Atlantik einher, die wiederum geringeren Transport von warmem Wasser in den Norden mit sich brachten. Als Reaktion darauf trocknete ein Großteil Afrikas südlich der Sahara buchstäblich aus: Es kam zu extrem niederschlagsarmen Trockenzeiten – nicht gerade Bedingungen, die das kulturelle Leben beflügelt haben dürften.

Allerdings scheint dieser Zusammenhang nur für den nördlichen Teil des afrikanischen Südens zu gelten, zeigen nun die neuen Daten. Die Wissenschaftler hatten dazu einen Bohrkern untersucht, den sie aus 3.300 Metern Tiefe 95 Kilometer vor der Ostküste Südafrikas gewonnen hatten. In diesem Gebiet münden mehrere große Flüsse, die, wenn sie aufgrund von regenreichen Zeiten viel Wasser führen, auch viel Sediment ins Meer transportieren. Dieses Sediment unterscheidet sich in seiner Zusammensetzung von dem, das in weniger wasserreichen Zeiten auf den Meeresboden gelangt. So ist beispielsweise der Eisengehalt deutlich höher.

Mehr Regen, mehr Innovationen

Genau nach solchen Bereichen suchten die Forscher nun auch in ihrem Bohrkern, der etwa 100.000 Jahre umfasst. Und tatsächlich: Mit einer überraschend guten zeitlichen Übereinstimmung fanden sie für nahezu jeden Zeitraum, für den in Südafrika eine kulturelle Hochzeit dokumentiert ist, Hinweise auf ein plötzlich deutlich feuchteres Klima. Die Kältephasen der Nordhalbkugel müssen in Südafrika also mit sehr viel mehr Regen und Niederschlag gekoppelt gewesen sein als in den nördlicheren Gebieten, schlussfolgern sie. Die Daten des Bohrkerns waren dabei sogar so gut, dass sich auch das Abklingen der Innovationsphasen, etwa das Ende der Howieson’s Poort-Industrie, mit dem Klima in Verbindung bringen ließ: Es trat dann ein, wenn das Klima wieder deutlich trockener wurde.

Der Zugang zu Frischwasser war für die frühen Menschen extrem wichtig, erläutert das Team. Man könne sich daher vorstellen, dass der feuchte Süden in den trockenen Zeiten eine Art Rückzugsgebiet für mehrere Gruppen wurde. Dadurch stieg die Bevölkerungsdichte, und der Bedarf an neuen Erfindungen stieg ebenso wie Wahrscheinlichkeit, dass jemand die zündende Idee hatte – nicht zuletzt durch intensives Networking. Wurde es dann anschließend wieder trockener, zerstreuten sich die Menschen, und der Innovationsprozess stoppte – bis sie wieder zueinander fanden.

Martin Ziegler (Cardiff University) et al.: Nature Communications, doi: 10.1038/ncomms2897 © wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel
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