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Bevölkerungswechsel im Intimbereich

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Bevölkerungswechsel im Intimbereich
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Beschneidung verändert Hautflora: Vor allem Bakterien, die auf sauerstoffarme Lebensräume angewiesen sind, finden sich nach dem Eingriff weniger. Bild: Thinkstock
Wer beschnitten ist, hat ein geringeres Risiko, sich mit HIV und anderen Viren zu infizieren. Zwar ist dieser Zusammenhang mittlerweile recht gut belegt, woran das liegt, ist jedoch völlig unklar. Es könnte anatomische Gründe geben – etwa, dass sich die Viren nicht mehr so gut festsetzen können. In eine ganz andere Richtung weist nun eine amerikanische Studie: Durch die Beschneidung verändert sich die „Penis-Flora“, also die Gemeinschaft der Mikroorganismen, die auf der Haut des männlichen Geschlechtsteils leben. Das wiederum könnte Auswirkungen auf die Aktivität des Immunsystems vor Ort haben – und so das Ansteckungsrisiko verringern.

Das humane Papillomavirus, Herpes Simplex und HIV – bei allen diesen Viren ist die Ansteckungsgefahr für Männer nach einer Beschneidung geringer als vorher. Bei HIV reduziert sich das Risiko sogar um 50 bis 60 Prozent. Auch ihre Partnerinnen profitieren laut verschiedenen Studien von dem kleinen Eingriff: Sie leiden später deutlich seltener an bakteriellen Infektionen. Ursprünglich wurde als Erklärung für den Effekt die These von den anatomischen Veränderungen favorisiert. Die könnten nicht nur, wie erwähnt, die Anzahl der sich festsetzenden Viren verringern, sondern durch die kleinere Hautfläche nach der Beschneidung auch die Menge der Zielzellen für die Viren reduzieren.

Bakterien-Kommunen im Fokus

Seit einiger Zeit wird nun jedoch auch darüber spekuliert, ob die Hautflora am Penis möglicherweise eine Rolle spielen könnte. Um das zu testen, werteten die Forscher Daten aus, die während einer Studie zur HIV-Prävention in den Jahren 2004 bis 2006 in Uganda gesammelt worden waren. Damals nahmen insgesamt 156 Männer an der Untersuchung teil, von denen 79 direkt nach Beginn beschnitten wurden. Die anderen dienten als Kontrollgruppe, hatten aber nach zwei Jahren ebenfalls die Möglichkeit, sich beschneiden zu lassen. Bei allen Probanden wurden in regelmäßigen Abständen Abstriche von der Haut direkt unter der Eichel des Penis genommen und auf die Zusammensetzung der Mikroorganismen untersucht.

Das Ergebnis: Während sich die Penisflora zu Beginn der Studie zwischen den beiden Gruppen praktisch nicht unterschied, waren ein Jahr nach Studienstart deutliche Unterschiede zwischen beschnittenen und nicht beschnittenen Teilnehmern erkennbar. So nahm die Gesamtzahl der Bakterien bei ersteren deutlich stärker ab als bei der Kontrollgruppe, und auch die Zusammensetzung veränderte sich. Zu Beginn und in der Kontrollgruppe dominierten vor allem Bakterien, die anaerob – also ohne Sauerstoff – leben. Dazu gehörte zum Beispiel die Gattung Prevotella, die auch in der Mund- und der Vaginalflora vertreten ist, ebenso wie mehrere Gattungen aus der Ordnung Clostridiales, zu der viele verbreitete Bodenbakterien gehören.

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Nach der Beschneidung nahmen sowohl Anzahl als auch Vielfalt der anaeroben Bakterien drastisch ab, zeigte die Auswertung nach einem Jahr. So waren von den 15 Varianten, bei denen die Forscher einen Rückgang beobachteten, 12 auf sauerstofffreie Umgebungen angewiesen oder konnten dort zumindest gut leben. Es gab jedoch auch Mikroben, deren Anzahl nach der Beschneidung zunahm, allerdings war deren Veränderung nicht ganz so ausgeprägt.

Geringere Biodiversität, veränderte Immunreaktion?

Insgesamt könne man sagen, dass die Vielfalt der unterschiedlichen Gattungen in den Bakteriengemeinschaften durch die Beschneidung zurückging, resümieren die Forscher, und dass anschließend einzelne, als ungefährlich geltende Mikrobenvarianten dominierten. Theoretisch sei es durchaus denkbar, dass diese Veränderung auch die Immunreaktionen vor Ort beeinflussten. Gibt es beispielsweise sehr viele, zum Teil aggressive Bakterien auf einem Hautareal, löst der Körper eine leichte Entzündungsreaktion aus. Daran beteiligt sind meist die sogenannten Langerhans-Zellen, die durch die Entzündung aktiviert werden. Kommen sie mit einem Virus in Kontakt, schnappen sie sich diesen und präsentieren ihn den T-Zellen des Immunsystems – also exakt dem Zelltyp, der das Ziel von HIV ist. Ohne eine vorhergehende Entzündungsreaktion unterlassen die Langerhans-Zellen diese Präsentation dagegen. Sie nehmen die Viren vielmehr in ihr Inneres auf und zerlegen sie anschließend.

Es sei durchaus denkbar, wenn auch bisher noch nicht experimentell bestätigt, dass dieser Mechanismus für das verringerte Ansteckungsrisiko mit HIV zumindest mitverantwortlich ist, erläutert das Team. Es will nun testen, ob die veränderte Penisflora tatsächlich mit einer geringeren Entzündungsaktivität an der Vorhaut einhergeht. Falls ja, könnte eine gezielte Hautflora-Veränderung etwa durch Anti- oder Probiotika eine echte Alternative zur Beschneidung sein, vor allem für Kulturen oder Gegenden, in denen dieser Eingriff nicht toleriert wird.

Cindy Liu (Northern Arizona University, Flagstaff) et al.: mBio, doi: 10.1128/mBio.00076-13 © wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel
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