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Warum Neandertaler schlechter denken konnten als wir

Geschichte|Archäologie

Warum Neandertaler schlechter denken konnten als wir
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Ich seh in Deine Augen, Cousin - und finde, dass sie ungewöhnlich groß sind.
Es kommt eben doch nicht (nur) auf die Größe an. Neuester Beleg dafür: der Neandertaler – beziehungsweise sein Gehirn – und unser Vorfahr, der frühe Homo sapiens. Zwar hatten beide ein etwa gleich großes Denkorgan, wie sie es nutzten, scheint jedoch sehr unterschiedlich gewesen zu sein, legt nun eine Studie eines britischen Forscherteams nahe: Beim Neandertaler waren sehr große Teile für das Sehen und das Steuern des großen, kräftigen Körpers reserviert. Für andere höhere Hirnleistungen blieb daher nur noch relativ wenig an Kapazität übrig. Homo sapiens investierte dagegen von Anfang an viel in soziale Intelligenz – und hat seinen Cousin somit möglicherweise dank eines größeren Freundeskreises überlebt.

Alles, was man bisher über das Gehirn von Homo neanderthalensis weiß, ist aus Abgüssen der Innenseiten fossiler Schädel abgeleitet, die von dem ausgestorbenen Vetter des modernen Menschen stammen. Diese Modelle zeigen: In einigen Punkten scheint das Neandertalergehirn dem von Homo sapiens stark zu ähneln. Beide weisen beispielsweise eine ähnliche Furchenstruktur auf der Oberfläche auf, und bei beiden ist der Frontallappen im Vergleich zum Rest vergrößert. Doch es gibt auch Unterschiede: Der Riechkolben des Neandertalers war kleiner und seine Scheitellappen breiter und flacher.

Nicht nur äußerliche Unterschiede

Zudem spreche einiges dafür, dass sein Gehirn auch intern anders strukturiert war als das der frühen anatomisch modernen Menschen, sagen die Wissenschaftler. Vor allem zwei Punkte halten sie dabei für entscheidend: Erstens besaßen die Neandertaler größere und kräftigere Körper als ihr Zeitgenosse Homo sapiens. Folglich muss auch der Bereich des Gehirns, der den Körper sowie die Bewegungen steuert und kontrolliert, deutlich größer gewesen sein. Und zweitens hatten sich die Neandertaler vor allem in Europa und damit in deutlich weniger sonnigen Gefilden entwickelt als die modernen Menschen, die gerade erst aus Afrika ausgewandert waren.

Ein solches Leben in höheren, weniger sonnigen Breiten, hatten die Wissenschaftler bereits in früheren Arbeiten zeigen können, verändert zumindest beim modernen Menschen auf Dauer die Schädelanatomie: Die Augäpfel und damit die Augenhöhlen werden größer, und auch die Sehzentren im Gehirn nehmen an Volumen zu. Diesen Effekt fanden sie nun auch beim Neandertaler, als sie 21 fossile Schädel mit einem Alter zwischen 27.000 und 200.000 Jahren mit 38 ähnlich alten Homo-sapiens-Schädeln verglichen: Die Neandertaler hatten deutlich größere Augenhöhlen als ihre Cousins und müssen daher, wenn der gleiche Zusammenhang gilt wie bei Homo sapiens, auch größere Sehzentren in ihren Gehirnen gehabt haben.

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Ohne Sehzentrum bleibt nicht mehr viel übrig

Was passiert nun, wenn man das Gehirnvolumen um diese Faktoren korrigiert? Denn im direkten Vergleich gibt es praktisch keinen Unterschied in der Hirngröße der beiden Menschenarten, entdeckten die Forscher: Beim Neandertaler lag das Volumen im Schnitt bei 1.473,46 und beim Homo sapiens bei 1473,84 Kubikzentimetern. Rechnet man nun jedoch das Sehzentrum und die Körpersteuerung heraus, bleiben beim Homo sapiens noch 1332,41 und beim Neandertaler nun noch 1133,98 Kubikzentimeter übrig. Faktisch hatte der ausgestorbene Frühmensch also weniger Hirnmasse zur Verfügung als unsere Vorfahren, so das Resümee der Forscher.

Auch wenn diese Differenz nicht extrem erscheint, könnte sie doch den entscheidenden Unterschied gemacht haben. Es gibt nämlich einen direkten Zusammenhang mit der Gehirngröße eines Lebewesens und seiner Fähigkeit, in Gruppen zu leben. Je größer das Gehirn und speziell bestimmte Teile des Frontallappens, desto besser funktioniert das Leben in größeren Gruppen. Der Grund dafür: Um mit anderen erfolgreich zusammenzuleben, muss man sich in sie hineinversetzen können – und dafür braucht es einiges an Hirnschmalz. Daher bestimmt die Anzahl der Artgenossen, deren Gedanken und Pläne ein einzelnes Individuum maximal im Blick behalten kann, die größtmögliche Gruppengröße. Heute schätzen Forscher diese maximale Größe auf etwa 150 Individuen, vor 27.000 bis 75.000 Jahren waren es bei unseren Vorfahren etwa 139. Der Neandertaler konnte dagegen wohl nur Gruppen bis höchstens 115 Personen managen.

Kleinere Gruppen, das hieß auch ein kleineres insgesamt besiedeltes Gebiet – und damit schlechtere Handels- und Tauschmöglichkeiten sowie weniger Zugang zu zusätzlichen Ressourcen in schlechten Zeiten, erläutern die Forscher. Dieses Szenario werde auch durch die wenigen archäologischen Funde gestützt, die man bis heute entdeckt habe. Sie legten nämlich ebenfalls nahe, dass unsere Vorfahren größere und ausgedehntere soziale Netzwerke hatten als die Neandertaler. Und vielleicht, spekulieren die Forscher weiter, war genau das der entscheidende Faktor, der den Homo sapiens überleben und seinen Cousin, den Neandertaler, aussterben ließ.

Eiluned Pearce (University of Oxford) et al.: Proceedings of the Royal Society B, doi: 10.1098/rspb.2013.0168 © wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel
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