Erste große Langzeitstudie mit ADHS-Kindern
Wie sich die behandelten Kinder im Laufe ihres weiteren Lebens entwickeln, und ob sich die Aufmerksamkeitsstörung „auswächst“, wurde bisher nur in wenigen kleinen Studien und an schweren Fällen untersucht, wie Barbaresi und seine Kollegen berichten. Sie haben jetzt die erste große Langzeitstudie ausgewertet, die einen repräsentativen Ausschnitt von Kindern mit ganz unterschiedlichen Schweregraden und Ausprägungen von ADHS bis ins Erwachsenenalter verfolgte.
An der Studie nahmen 5.718 Kinder teil, die zwischen 1976 und 1982 in Rochester im US-Bundesstaat Minnesota geboren wurden. Bei 367 von ihnen wurde im Laufe ihrer Kindheit ADHS diagnostiziert. Drei Viertel dieser Kinder erhielten eine Behandlung mit Methylphenidat und teilweise auch Verhaltenstherapie. Im Erwachsenenalter untersuchten die Forscher alle Kinder erneut auf ihren psychischen Zustand und werteten deren Krankenakten aus.
Psychische Störungen trotz Behandlung
Das Ergebnis: „Nur 37,5 Prozent der Kinder, die wir als Erwachsene wieder kontaktierten, waren frei von ADHS und anderen psychischen Störungen“, berichtet Barbaresi. Das sei eine ziemlich ernüchternde Bilanz und zeige, dass die langfristige Therapie von Kindern mit ADHS noch stark verbessert werden müsse. 57 Prozent der ADHS-Kinder litten auch als Erwachsene noch unter mindestens einer psychischen Störung, darunter Angsterkrankungen, Depression, antisoziale Persönlichkeitsstörungen und manische Phasen. 29 Prozent von ihnen hatten noch immer ADHS, ein Großteil dieser Patienten hatte zusätzlich noch mindestens eine weitere psychische Auffälligkeit. Bei der Kontrollgruppe der Probanden, die als Kinder nicht unter ADHS gelitten hatten, waren weitaus weniger von psychischen Erkrankungen betroffen, wie die Forscher berichten.
Ihre Befunde seien vermutlich eher noch zu optimistisch, da an der Studie vorwiegend Kinder teilgenommen hatten, die aus der Mittelschicht stammten und eine gute Bildung und eine gute Gesundheitsversorgung hatten. „Man könnte sagen, dass dies daher eher einem best-case Szenario entspricht“, so Barbaresi. In sozioökonomisch weniger gut situierten Gesellschaftsschichten könnte das Ergebnis noch deutlich schlechter ausfallen.
Nach Ansicht der Wissenschaftler zeigt die Studie, dass die bisherigen Behandlungsansätze nur wenig greifen – und dass die Therapie länger als nur bis zur Pubertät fortgesetzt werden muss. „Wir müssen ADHS künftig als chronische Krankheit sehen, ähnlich wie Diabetes“, sagt Barbaresi. Eltern empfehlen die Forscher daher, ihre Kinder auch nach Einsetzen der Pubertät regelmäßig auf psychische Störungen und Auffälligkeiten hin untersuchen zu lassen und falls nötig dafür zu sorgen, dass diese auch bis ins Erwachsenenalter hinein adäquat behandelt werden.