Sender- und Empfänger-Gehirn über Kabel verbunden
Um das zu testen, pflanzten die Forscher Ratten feine Elektroden in den motorischen Cortex ein, den Bereich der Hirnrinde, der Bewegungen kontrolliert. Alle Tiere wurden darauf trainiert, in einem Käfig mit zwei Hebeln immer denjenigen zu drücken, über dem ein Licht aufleuchtete. Das eigentliche Experiment begann, als die Forscher die Elektroden im Gehirn jeweils zweier Ratten miteinander verkoppelten. Immer wenn die „Sender“-Ratte auf das Lichtsignal hin den korrekten Hebel drückte, leitete ein Kabel ihre Hirnaktivität per Kabel in das Gehirn ihres Partners. Diese „Empfänger“-Ratte hatte zwar in ihrem Käfig die gleichen Hebel, aber kein Lichtsignal. Um den richtigen drücken zu können, musste das Tier die übermittelten Signale aus dem Gehirn ihres Artgenossen korrekt verarbeiten.
Und tatsächlich funktionierte dies: Die Empfänger-Ratten drückten in rund 70 Prozent der Versuche den richtigen Hebel, wie die Wissenschaftler berichten. Das sei deutlich mehr als bei zufälliger Verteilung und hochsignifikant. „Das zeigt, dass wir eine direkte Kommunikation zwischen den beiden Gehirnen etabliert haben, wir haben quasi ein Nervensystem erzeugt, das aus zwei Gehirnen besteht“, erklärt Nicolelis. Es sei das erste Mal, dass Verhaltensanweisungen von einem Tier zum anderen übermittelt wurden, ohne die normalen Sinneskanäle dafür zu nutzen.
Kommunikation in beide Richtungen
Wie in einem echten Nervensystem üblich, funktionierte auch die Kommunikation der verbundenen Gehirne in beide Richtungen: Denn nur wenn die zweite Ratte ihre Aufgabe richtig löste, bekam ihr Partner eine weitere Belohnung und damit ein positives Feedback, sonst nicht. Das habe zu einer echten Kollaboration zwischen den beiden Partnern geführt. „Wenn die Decoder-Ratte einen Fehler machte, veränderte die Encoder-Ratte sowohl ihr Verhalten als auch ihre Hirnaktivität, um es ihrem Partner beim nächsten Versuch einfacher zu machen“, berichtet Nicolelis.
Ähnlich erfolgreich funktionierte die Übermittlung auch bei einer zweiten Versuchsvariante, in der die Ratten auf einen über die Schnurrhaare aufgenommenen Reiz reagieren und den richtigen Hebel drücken mussten. Nachdem Rattenpaare diesen Test mehrfach gekoppelt trainiert hatten, beobachteten die Forscher im Gehirn der Empfänger-Ratte eine erstaunliche Veränderung: Einige Gehirnareale begannen, sowohl auf die Signale der eigenen Schnurrhaare als auch auf die per Elektroden eingeschleusten zu reagieren. Die Ratte habe damit in ihrem Gehirn neben dem sensorischen Abbild ihres eigenen Sinnesorgans und Körpers auch ein zweites – das ihres Partners – erzeugt, schlussfolgern die Forscher.
Internet überträgt Hirnsignale
Um zu testen, ob die Gedankenübertragung auch auf große Distanzen hinweg funktioniert, rüsteten die Forscher eine Ratte an einem Forschungsinstitut in Brasilien zum „Sender“ aus. Über das Internet wurden ihre Gehirnsignale beim Lösen der Hebelaufgabe dann über mehr als tausend Kilometer hinweg nach Durham in den USA geschickt. Dort speisten Nicolelis und seine Kollegen diese Signale über eine Elektrode wieder in das Gehirn einer Empfänger-Ratte ein – und diese drückte fast genauso oft den richtigen Hebel wie bei der Übertragung vom Nachbarkäfig. „Die Tiere konnten noch kommunizieren, obwohl sie auf verschiedenen Kontinenten waren und die Übertragung verzögert und mit Störungen erfolgte“, sagt Erstautor Miguel Pais-Vieira.
Nach Ansicht der Forscher belegen ihre Experimente, dass eine echte Kopplung von Gehirnen selbst über große Entfernungen hinweg möglich ist. Inzwischen arbeiten sie bereits daran, mit dieser Technik auch Gehirn-Netzwerke mit mehr als zwei Tieren zu erstellen. Diese Form der Vernetzung könnte, so hoffen sie, ganz neue Formen der sozialen Interaktion schaffen.