Bereits frühere Studien hatten darauf hingewiesen, dass bei HIV-Infizierten mit Demenz das Verhältnis zwischen proBDNF und BDNF aus dem Gleichgewicht gerät. Das Team um Alessia Bachis hat diesen Zusammenhang nun genauer unter die Lupe genommen. Dazu untersuchten die Forscher zunächst Nervenzellen von Ratten und anschließend die Gehirne von verstorbenen HIV-Infizierten. Sie maßen dabei vor allem den Gehalt der zwei Formen des Wachstumsfaktors im Hippocampus, in Teilen des Frontallappens der Großhirnrinde und in bestimmten Bereichen der Grauen Substanz des Gehirns. Die Ergebnisse verglich das Team schließlich mit denen von HIV-Patienten ohne Demenz und von gesunden Menschen.
Dabei zeigte sich: Ein bestimmtes Protein auf der Oberfläche von HI-Viren senkt die Umwandlungsrate von proBDNF zum reifen BDNF deutlich ab. Dadurch ist mehr proBDNF vorhanden. Der darauf folgende programmierte Zelltod führt dann dazu, dass der Nervenzellfortsatz, das Axon, abgebaut wird. Ohne diesen Fortsatz können die Zellen nicht mehr miteinander kommunizieren – sie sterben ab und der Patient bekommt allmählich motorische Schwierigkeiten und Probleme beim Erlernen von neuen Dingen sowie beim Versuch, sich an etwas zu erinnern.
Die Ergebnisse sollen in erster Linie helfen, HIV-Patienten besser zu behandeln. Italo Mocchetti , einer der beteiligten Forscher, sieht beispielsweise die Möglichkeit, dass man künftig dank des neuen Wissens die HIV-assoziierte Demenz medikamentös angreift: ?Man könnte etwa ein kleines Molekül nutzen, um den Rezeptor zu blockieren, den das proBDNF benötigt, um die Nervenzellen abzutöten?, sagt Mocchetti. Doch er sieht auch noch weiterreichende Anwendungsmöglichkeiten: ?Wenn das bei HIV-assoziierter Demenz funktioniert, dann könnte es auch bei anderen Krankheiten, die das Gehirn betreffen und durch proBDNF verursacht werden, wirken.? Es gebe schon länger Hinweise darauf, dass ein BDNF-Defizit ein Risikofaktor bei chronischen Krankheiten wie Parkinson oder der Huntington-Krankheit ist. Mocchettis Fazit: ?Diese Erkenntnisse sind sehr wichtig für Grundlagenforscher und Mediziner, weil sie einen neuen Weg zum Verständnis und der Behandlung einer möglicherweise weit verbreiteten Ursache von Demenz aufzeigen.?