Zu den überraschten Opfern einer ?Zombie-Nachricht?, wie Pörksen sie nennt, gehörte Horst Köhler. Eine von Journalisten zunächst kaum beachtete Randbemerkung über Deutschlands Beteiligung in Afghanistan verbreitete sich plötzlich wie ein Lauffeuer. Die eigentliche Debatte über die Äußerung, die zu seinem Rücktritt führte, wurde zwar in den klassischen Printmedien geführt ? ausgelöst wurde sie jedoch durch einen hitzigen Disput im Internet.
Die Öffentlichkeit eines Themas müde zu machen und abzulenken, indem Fehler nur scheibchenweise zugegeben werden, funktioniere nur in den Printmedien. Darauf hatten laut Pörksen Christian Wulff und Karl-Theodor zu Guttenberg gebaut. Doch das Internet machte ihnen einen Strich durch die Rechnung: ?Im Social Web funktioniert diese Salamitaktik nicht?, erklärt Pörksen.
Die Macht des Einzelnen
Das Besondere am sozialen Austausch im Internet sind die Nutzer. ?Jeder ist ein potenzieller Enthüllungsjournalist?, so der ?Professor des Jahres 2008?. Damit müsse sich aber auch jeder die entsprechenden Fragen stellen und ein journalistisches Bewusstsein entwickeln. Denn Kontrolle und Zensur sind im World Wide Web bislang unmöglich. ?Die kurze Entwicklungsgeschichte von Wikileaks zeigt alle Facetten der neuen Medien, vor allem die fatalen.? Der Gründer Julian Assange wollte mit der Verbreitung geheimer Dokumente die Öffentlichkeit aufklären ? zweifelsohne eine der wichtigsten Aufgaben des Journalismus. Doch seine Herangehensweise wird inzwischen als eitel bis exzentrisch kritisiert. Außerdem habe er das Leben seiner Informanten gefährdet. Laut Pörksen hat Julian Assange uns damit zumindest einen Dienst erwiesen: ?Wikileaks hat wieder ins Bewusstsein gerufen, wie wichtig seriöser Journalismus ist.?
Das fehlende Gespür für diesen realitätsvergessenden und medienblinden Umgang mit Informationen trifft bei Weitem nicht nur bekannte Persönlichkeiten. Sie bedroht jeden, der Spuren im Internet hinterlässt. Sich abzuschotten, muss jedoch nicht die Lösung sein, so Pörksen. Vielmehr seien wir die Mündigen, die Informationen sinnvoll nutzen sollten. ?Im Moment befinden wir uns noch in einer Art pubertären Phase, was den Umgang mit den neuen Medien betrifft.? Deshalb sei es wichtig, anhand von nachfühlbaren Beispielen aufzuklären.
Die positive Seite des Social Web
Dass Politiker sich eine neue Glaubwürdigkeit verschaffen können, indem sie sich im Web 2.0 mit den Bürgern auseinandersetzen, bezweifelt der Medienexperte. ?Denn glaubwürdig ist nach wie vor, wer Aussagen durch sein Handeln beglaubigt. Den Piraten gelingt das beispielsweise ziemlich gut.?
Abschrecken vom Social Web möchte Bernhard Pörksen jedoch nicht: ?Der digitale Skandal hat zwei Gesichter: Auf der einen Seite ist er für Einzelne furchtbar. Aber am Ende steht immer eine Wertedebatte, die für die Gesellschaft enorm wichtig ist.?
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