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Sinnes-Zusammenarbeit mit Nebenwirkungen

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Sinnes-Zusammenarbeit mit Nebenwirkungen
Wenn Vogelgezwitscher eine Farbe hätte, welche wäre das? Und ein Donnergrollen? „Sonnengelb“ wäre eine typische Antwort auf die erste Frage und „dunkelgrau“ auf die zweite. Denn die meisten Menschen assoziieren automatisch hohe Töne mit hellen Farben. Ein deutsch-japanisches Forscherteam hat sich jetzt gefragt, ob man das in die Wiege gelegt bekommt oder ob man den Zusammenhang erlernt ? und dazu sechs Schimpansendamen vor einen Computermonitor gesetzt.

Ai, Pendesa, Pal, Pan, Chloe und Cleo sind es gewohnt, mit einem Touchscreen umzugehen. Die Schimpansinnen, deren Zuhause das Primatenforschungsinstitut an der Universität Kyoto ist, nehmen regelmäßig an wissenschaftlichen Tests teil. Dieses Mal brauchten sie allerdings etwas Training: In mehreren Sitzungen brachten Vera Ludwig von der Charité in Berlin und ihre beiden japanischen Kollegen Ikuma Adachi und Tetsuro Matsuzawa den Tieren ? vor allem mithilfe von leckeren Rosinen ? bei, einen weißen Knopf zu drücken, wenn auf dem Monitor ein weißes Quadrat erscheint, und auf einen schwarzen, wenn die Abbildung schwarz ist. Im eigentlichen Test traten die Schimpansinnen dann gegen 33 menschliche Probanden an, die die gleiche Aufgabe gestellt bekamen.

Der Trick: Während des Tests, bei dem die jeweiligen Quadrate nur für einen Sekundenbruchteil zu sehen waren, spielten die Forscher den Teilnehmern Töne vor ? einen sehr hohen mit einer Frequenz von über 1.000 Hertz und einen tiefen mit 175 Hertz. Die Idee dahinter war folgende: Wer automatisch an helle Farben denkt, wenn er einen hohen Ton hört, reagiert schneller und macht weniger Fehler, wenn Ton und Farbe zusammenpassen. Stimmen die beiden nicht überein, wird beispielsweise ein schwarzes Quadrat mit einem hohen Ton kombiniert, sollten folglich Reaktionszeit und Fehlerquote ansteigen.

Angeboren oder erlernt?

Dass das beim Menschen funktioniert, wussten die Forscher dabei schon aus einer ganzen Reihe früherer Studien. Wie die Schimpansen dagegen abschneiden würden, war bei Beginn des Tests völlig unklar. Es gab zwei denkbare Szenarien: Entweder ist die Assoziation, die es übrigens schon bei sehr kleinen Kindern gibt, etwas, das erlernt wird oder beim Benutzen von Sprache entsteht ? dann sollte sie ausschließlich beim Menschen vorkommen. Oder aber es handelt sich um eine grundlegende Eigenschaft des Wahrnehmungssystems, das sich bei allen Primaten recht stark ähnelt. In diesem Fall müsste sie bei einem derart engen Verwandten wie dem Schimpansen ebenfalls messbar sein.

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Tatsächlich zeigte der Versuch: Sowohl Menschen als auch Affen ließen sich von nicht zusammenpassenden Kombinationen irritieren. Bei den menschlichen Probanden stieg die Reaktionszeit bei „falschen“ Tönen messbar an, und bei den Schimpansinnen nahm die Fehlerrate deutlich zu. Das deutet darauf hin, dass es sich wirklich um ein sehr grundlegendes Merkmal der Wahrnehmung handelt, sagen die Forscher. Da es bei beiden Probandengruppen auftrat, muss es sich wohl schon sehr früh in der Evolution der Primaten entwickelt haben ? schon bevor sich die Abstammungslinien von Mensch und Schimpanse trennten.

Nebenwirkung: Synästhesie

Warum es existiert, ist allerdings nicht so leicht zu erklären. Am wahrscheinlisten ist es nach Ansicht des Teams, dass es sich bei der Kopplung um eine Art Nebenwirkung des Prinzips handelt, mit dem Primatengehirne Wahrnehmungseindrücke erzeugen ? sie verschmelzen dazu ja häufig Informationen von unterschiedlichen Sinnesorganen. Beim Menschen kann dieses Miteinander der Sinne so intensiv sein, dass ein Sinneseindruck immer automatisch einen anderen mit hervorruft ? ein Phänomen, das man Synästhesie nennt und bei dem beispielsweise ein Ton immer von einem bestimmten Farbeindruck begleitet wird. Die aktuellen Ergebnisse eröffneten die faszinierende Möglichkeit, dass es auch bei Schimpansen Synästhetiker geben könnte, schreiben die Forscher.

Sie glauben, solche automatischen Kopplungen ? neben hellen Farben kennt man beispielsweise auch eine Verbindung zwischen spitzen Formen und hohen Tönen ? könnten auch bei der Entstehung der Sprache eine wichtige Rolle gespielt haben: Wenn diese Assoziationen nämlich schon bei den ersten Versuchen einer Benennung von Objekten aktiviert wurden, gab es vielleicht gar nicht unendlich viele Möglichkeiten, einen passenden Namen zu finden. Es wären dann nur solche Laute infrage gekommen, die zur Form oder zur Farbe passten, sagt das Team.

Vera Ludwig (Charité Berlin) et al.: PNAS, Online-Vorabveröffentlichung, doi: 10.1073/pnas.1112605108 © wissenschaft.de ? Ilka Lehnen-Beyel
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