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Frühstart für den Siegeszug

Geschichte|Archäologie

Frühstart für den Siegeszug
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Das Oberkieferstück mit drei Zähnen wurde bereits 1927 in Kent's Cavern im Südwesten Englands entdeckt. Bild: Chris Collins (Natural History Museum, London) and Torquay Museum
Zwei Milchzähne und ein Stückchen Oberkieferknochen mit drei Zähnen – das sind die neuen Rekordhalter, die das Prädikat „älteste Überreste des modernen Menschen in Europa“ tragen dürfen: Sie sind laut neuer Datierungen bis zu 45.000 Jahre alt und damit mehrere Tausend Jahre älter als bisher angenommen. Folglich müssen auch die ersten anatomisch modernen Menschen auf ihrem Weg von Afrika in die Welt früher in Europa angekommen sein, als bisherige Funde vermuten ließen: Sie lebten offenbar bereits vor weit mehr als 40.000 Jahren sowohl im heutigen England als auch im Süden des heutigen Italiens. Damit waren sie gleichzeitig auch sehr viel länger Zeitgenossen der Neandertaler, als bisher angenommen, berichten die beiden Forscherteams, die die neuen Datierungen vorgenommen haben.

Das Oberkiefer-Fragment stammt aus der Kent’s Cavern, einem Höhlensystem im Südwesten Englands nahe des Ortes Torquay. Entdeckt wurde es bereits 1927, etwa 3,15 Meter unter dem mit Stalagmiten bedeckten Höhlenboden. Erstmals wissenschaftlich datiert wurde es 1989 mit Hilfe der C-14-Methode. Das Resultat deutete auf ein Alter von ungefähr 35.000 Jahren hin, war jedoch nicht ganz unumstritten, weil sich auf dem Knochen Reste modernen Klebstoffs befanden, der offenbar zur Konservierung des Fundes verwendet worden war. Für eine weitere Datierung fehlte jedoch unkontaminiertes Material – das Knochenstück war schlicht zu klein, um eine ausreichend große Probe nehmen zu können.

Um trotzdem zuverlässige Informationen über das echte Alter des Kieferknochens zu erhalten, entschied sich ein britisch-US-amerikanisches Forscherteam jetzt dafür, die Bodenschichten direkt unter und über dem Knochen auszuwerten. Darin fanden sich Überreste eines Wollnashorns und von Wolf, Hirsch und Höhlenbär – alle zwischen 50.000 und 26.000 Jahre alt. Der Kieferknochen in der Schicht dazwischen, errechneten die Wissenschaftler, muss demnach zwischen 41.000 und 44.000 Jahre alt sein. Er würde damit zu den ältesten jemals in Europa gefundenen Überresten von Homo sapiens gehören.

Genau dieses hohe Alter warf allerdings die Frage auf, ob die Zuordnung des Knochens zu unserer Spezies überhaupt richtig war – oder ob es sich nicht vielmehr um ein Überbleibsel eines Neandertalers handelte, denn dieser Verwandte des modernen Menschen lebte ebenfalls bis vor etwa 30.000 Jahren in Europa. Doch ein Vergleich mit der Beschaffenheit und der Form der Zähne heute lebender Menschen zeigte: In 13 Merkmalen stimmt der Kiefer exakt mit Homo sapiens-Funden überein – lediglich drei Merkmale deuteten eher auf einen Neandertaler-Ursprung hin, und sieben ließen sich nicht eindeutig zuordnen.

Die Zuordnung zu einer der beiden Spezies – Neandertaler oder früher Homo sapiens – war auch im Fall der beiden Milchzähne aus der „Grotta del Cavallo“ in Apulien im Süden Italiens der entscheidende Punkt. Ursprünglich 1964 entdeckt wurden sie lange Zeit den Neandertalern zugeordnet. Doch diese Bewertung könnte rein aufgrund eines Zahlendrehers entstanden sein, glaubt das internationale Forscherteam um Stefano Benazzi von der Universität Wien, das die Zähne jetzt erneut unter die Lupe genommen hat. Der Vergleich mit verschiedenen fossilen Zähnen, sowohl von Homo sapiens als auch vom Neandertaler, zeigte nun: Die Fundstücke sind mit hoher Sicherheit Homo sapiens zuzuordnen. Spektakulär wird diese Entdeckung im Zusammenhang mit der neuen Datierung, die die Forscher ebenfalls durchführten: Sie untersuchten Muschelperlen und andere Funde aus der direkten Nachbarschaft der Stelle, an der die Zähne gefunden wurden, und errechneten ein Alter von bis zu 45.000 Jahren. Damit wären die Milchzähne definitiv die ältesten eindeutigen Homo sapiens-Überreste in Europa.

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Beide Forscherteams bewerten die Ergebnisse als wichtige Puzzlesteine, die bisher im Bild der Besiedelung Europas fehlten. Denn es hatte zwar bereits verschiedene Funde gegeben, die nahe legten, dass unsere Vorfahren vor 42.000 oder 43.000 Jahren nach Europa gekommen sein müssen – ungewöhnlich gestaltete Werkzeuge beispielsweise oder auch kleine figurartige Kunstgegenstände, die nicht zu den älteren, von den Neandertalern geschaffenen Artefakten passten. Tatsächliche Überreste dieser ersten Vertreter von Homo sapiens fehlten bisher jedoch, ein Mangel, der durch die neue Bewertung der beiden Funde möglicherweise behoben wurde.

Tom Higham (University of Oxford) et al.: Nature, Online-Vorabveröffentlichung, doi:10.1038/nature10484 Stefano Benazzi (Universität Wien) et al.: Nature, Online-Vorabveröffentlichung, doi:10.1038/nature10617 wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel
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