Der Fund selbst besteht aus zwei “Werkzeugsätzen”, wie die Forscher es formulieren. Kernstück beider Funde, die in einem Abstand von nur knapp 16 Zentimeter nebeneinander lagen, sind die Schalen von Seeohren ? Meeresschnecken, die vor allem für ihre großen Perlmutt-Gehäuse bekannt sind. Speziell die erste Schale hatte es in sich: Sie enthielt einen relativ großen runden Quarzit-Stein mit Ockerflecken auf der Oberfläche, der wohl als Mahlstein genutzt wurde. Darunter fanden die Forscher Sand und eine etwa fünf Millimeter dicke Schicht einer roten Substanz, die auf dem Perlmutt der Schale haftete. Sie besteht aus eisenhaltigem Schluffgestein ? dem Ocker ?, Fragmenten von gemahlenen und zum Teil verkohlten Knochen, Körnchen und Splittern aus Quarz und Quarzit sowie Holzkohlestückchen. Rund um die Schale lagen weitere Ockerfragmente verteilt, die teilweise auf einer Seite abgerieben oder mit einem Werkzeug wie einem Quarzkeil bearbeitet worden waren.
Unter der Schale entdeckten die Forscher das Schulterblatt einer Robbe und einen zerbrochenen Wirbel eines Rinds ? vermutlich die Quellen der Knochenfragmente ? sowie ein Stück einer Elle eines hundeartigen Tiers, möglicherweise ebenfalls einer Robbe. An deren gebrochener Spitze fanden sich weitere Reste von Ocker. Im Perlmutt der Schale zeigten sich unter dem Mikroskop zudem Rillen, die vermutlich durch die Quarz- oder Quarzitkörnchen verursacht wurden. Auch die zweite Schale enthielt eine rötliche Schicht und Gesteins- sowie Knochenfragmente, jedoch insgesamt deutlich weniger Stücke als die erste.
Die Funde seien so aussagekräftig, dass sich das Vorgehen bei der Ockerverarbeitung durch die frühen Menschen fast vollständig rekapitulieren lasse, sagt Henshilwood. Das Fehlen von Nahrungsmittelresten und Kochfeuern in der entsprechenden Schicht zeige beispielsweise, dass es sich nicht um eine Wohnhöhle gehandelt habe, sondern um einen Ort, an den man nur kam, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen ? nämlich das Bearbeiten von Ocker. Dazu verwendeten die Menschen offenbar Ockerstücke, die sie aus der weiteren Umgebung in die Höhle brachten und dann entweder an rauen Quarzstücken zu Pulver zerrieben oder mit einem Schlagstein bearbeiteten, um kleine Splitter abzuschlagen. Diese wurden dann mithilfe von anderen Steinen ebenfalls zu Pulver zermahlen.
Das Pulver kam anschließend in die Schneckenschalen. Es wurden Knochenstücke hinzugefügt, die reich an Fett und Knochenmark waren und die teilweise zuvor erhitzt wurden, wohl um diese Substanzen freizusetzen. Henshilwood glaubt, dass sie als eine Art Bindemittel dienten. Weiter kamen noch Holzkohle, Gesteinskörnchen und eine Flüssigkeit hinzu ? möglich wären hier Wasser oder Urin, was genau es war, lässt sich aber nicht mehr sagen. Schließlich wurde die Mischung vorsichtig umgerührt, vermutlich mit dem Finger oder einem Knochenstück, wobei die Rillen in der Schneckenschale entstanden.
Wofür die pigmentierte Paste verwendet wurde, können die Wissenschaftler bisher nicht sagen. Es könnte sich um eine Farbe zum Bemalen der Haut oder zum Verzieren von Kleidung oder Gegenständen gehandelt haben, sie könnte aber auch als Sonnenschutz gedient haben. Henshilwood tendiert zu der Annahme, sie habe einen dekorativen Zweck erfüllt, denn der Knochen, der direkt unter der einen Schale lag, scheint als eine Art Pinsel oder Spachtel gedient zu haben, mit dem gezielt kleine Mengen aus dem Muschelbehälter entnommen wurden.
Alles in allem verrate der Fund einiges über das Leben der frühen anatomisch modernen Menschen, über deren Verhalten nur sehr wenig bekannt ist. So sei beispielsweise klar, dass sie sowohl ein grundlegendes Verständnis von Stoffeigenschaften und deren Kombinationen ? also einer rudimentären Chemie ? hatten und die nötigen Substanzen gezielt aus der Umgebung in die Höhle brachten, sagt Henshilwood. Sie konnten zudem offensichtlich vorausplanen, denn die Behälter dienten nicht nur zur Herstellung, sondern auch zur Aufbewahrung der Farbe.