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Neues aus Südamerika

Erde|Umwelt

Neues aus Südamerika
Ich berichte jetzt nach und nach, wie es uns in den vergangenen Tagen erging:

Mittwoch, 14. September

Nach einer langen Anreise – Nachtflug von Lima nach Sao Paulo, von dort weiter ins heiße Cuiaba, von dort in einem engen Bus über immer staubiger werdende Strassen und eine abenteuerliche Flussbrücke – erreichen wir abends die Mutum Lodge. Sie liegt mitten im Pantanal, einer abwechslungsreichen Landschaft, die von Oktober bis April überflutet ist, in der Trockenzeit jedoch ein erfreuliches Gemisch aus Wald, Wiesen, Bauernhöfen – und ein Vogelparadies. Uns begleiten zwei ernsthafte junge Männer, Fabiano und Benedetto, beide leidenschaftliche Ornithologen. Sie haben ein Spektiv dabei, eine Art einäugiges Fernglas auf Stelzen. Durch dieses Wunderding betrachten wir schon auf der Anfahrt den Riesenstorch Jabiru und blaugelbe Aras.

Geografisch sind wir mitten in Südamerika, gleich weit entfernt von Pazifik und Atlantik. Das Land liegt tief, nur 130 Meter über dem Meeresspiegel. Die Flüsse fließen hier so langsam, dass man sich manchmal auf einem stehenden Gewässer wähnt. Doch an diesem Abend steigen wir nicht mehr ins Boot, sondern nur noch ins Bett. Vorher gibt es allerdings noch Caipirinhas in geselliger Runde und ein kräftiges Abendessen.

Donnerstag, 15. September

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Um 5 Uhr werden wir geweckt. Nicht von Elektronik, sondern von einem unvergleichlichen Vogelgekreisch. Der Chaco Chachalaca, ein pfauenartiger Vogel, ist schon wach und sorgt dafür, dass niemand mehr schlafen kann. Andreas Groß nennt ihn den Gießkannenwecker, das kommt ungefähr hin.

Auf der Lodge ist bei Sonnenaufgang schon reges Leben. Pferde grasen auf den Wiesen vor den Apartmenthäuschen, in denen wir schlafen, kopulierende Stirnvögel rollen über den Rasen. Ein Ara und ein Papagei gehören zu den Haustieren, in meinem Bad wohnt ein kleiner Frosch. Später entdecke ich Pfauen mit Krönchen, eine Familie mit zwei Kindern. Es handelt sich um den Nacktgesicht-Curassow. Beneditu zeigt ihn mir in einem Buch. Bei diesen Pfauen ist das Weibchen prächtig gemustert, das Männchen kommt im schlichten dunklen Anzug daher. So etwas ist selten im Tierreich, eine Ausnahme wie bei uns Menschen. Burmeister meint, das deute darauf hin, dass wir hier ein bei der Brut besonders engagiertes Männchen vor uns haben. Ich muss dem bei Gelegenheit nachgehen.

Beim gemeinsamen Spaziergang stoßen wir auf ein Kaiman-Skelett. Kaimane, so erklären uns unsere Biologen, werden im Alter nahezu unsterblich. Man kann sie mit Krebszellen infizieren, sie können sich beim Kampf den Oberkiefer abbrechen, das bringt sie alles nicht um. Wie kann ein Reptil ein so starkes Immunsystem haben? Welche Teile davon haben wir geerbt, welche fehlen uns? Das ist ein Thema für mich und den Mikrobiologen im Reiseteam. Offensichtlich wird dazu geforscht, damit ist es vielleicht auch ein Thema für bdw.

Am Nachmittag Bootsausflug auf dem Rio Mutum. Wohin man schaut, Vögel. Reiher, Rallen, Eisvögel, Bussarde und Störche. Kuckucksvögel, die aussehen wie kleine Hoatzins. Auch einige seltene Spezies entdecken wir, den Agami-Reiher und die kleine Binsenralle, die ihre Kinder nur bis zum Embryoanalstadium ausbrütet und dann in einer Falte unter der Schulter herumträgt. Eine Art Känguruh-Vogel. Was es alles gibt. Unsere Lodge ist ein Mekka für Vogelfreunde. Die Liste der Arten, die wir alle ausgehändigt bekamen, umfasst 469 Arten, vom Nandu bis zum Hausspatz.

Bei der Rückkehr im Sonnenuntergang empfangen uns zahlreiche Kaimane am Ufer. Früher wurden sie hier mit Abfällen gefüttert, das hat sie angelockt. Die bdw-Leser gehen mit ihren Kameras sehr nah an die Tiere heran. Zu nah für meinen Geschmack.

Freitag, 16. September

Bootsfahrt flussaufwärts zum Mariana-See, durch einen Kanal voller blühender Wasserhyazinthen in den Rio Cuiaba. Am Ufer Siedlungen, auf dem Fluss Boote mit Anglern. Die Männer, die sie steuern, heben zum Gruß den Daumen. Auf einigen Booten angelnde Touristen mit dicken Bäuchen. Wenn man sie fotografiert, fotografieren sie zurück. Gelegentlich huscht eine schmale Gestalt auf schmalem Kanu vorbei.

Das Leben hier scheint ein langer, ruhiger Fluss zu sein. Männer stehen an den Ufern und angeln, Frauen waschen im Fluss die Wäsche. Wir fahren weiter durch das Netz aus Flüssen und Kanälen, dann gehen wir ein Stück durch den Wald. Unendliches Gekreische und der Geruch nach Vogelkot kündigen eine Brutkolonie von Waldstörchen an: 3.000 Nester hat man hier auf den Bäumen gezählt, 18 solcher Kolonien gibt es im Pantanal. Die Störche kommen von weit her zum gemeinsamen Brüten, aus dem Norden und aus dem Süden. Reiher haben sich unter die Storchenfamilien gemischt, so schützen sie sich gegenseitig vor Räubern. Einen Bussard sehen wir bereits lauern. Aber auch die Anakonda lauere hier auf Beute, erzählt Beneditu. Als er 2006 hier bei der Nestzählung dabei war und auf dem Baum saß, vor dem wir gerade stehen, schlich unter ihm ein Jaguar vorbei.

Auf der Rückfahrt sichten wir zahlreiche Kaimane. Sie liegen, teils mit geöffnetem Maul, am Ufer oder schwimmen im Fluss, so dass man nur die Augen sieht. Hier im Pantanal herrscht die höchste Krokodildichte auf der Welt, habe ich im Reiseführer gelesen. Der Augenschein spricht nicht dagegen. Dann springt ein Fisch in unser Motorboot. Burmeister hält ihn fest, zeigt ihn herum, lässt ihn wieder frei. Dem Professor gefällt es im Pantanal. “Ich will nicht nach Hause”, sagt er. “Ich will hier bleiben.”

Am Nachmittag eine kurze Busfahrt auf dem Sandweg, der hinter der Lodge beginnt. Unser Bus hält an einem Bauernhof. Hier soll ein Pärchen blauer Hyayzinth-Aras leben. Unsere Biologen haben sie schon gesichtet. Und da ist schon einer, hängt kopfüber am Futterbaum, einer Palme mit harten Früchten. “Wie auf dem Silbertablett serviert”, haucht Fabiano und mahnt uns zu großer Stille. Die Kameras klicken, dann fliegt der Ara davon.

Doch der Bauer lässt uns auf seine Wiese, und so können wir den Ara und sein Partnertier, das bald angeflogen kommt, noch aus zahlreichen Perspektiven bestaunen: eins das andere fütternd, vom Nistbaum auf uns herunterlugend, später gemeinsam schimpfend, als wir der Bruthöhle im Stamm zu nahe kommen. Einige wundern sich, dass der Ara sich ein so belebtes Umfeld als Nistplatz ausgesucht hat: einen Bauernhof nahe bei einer lauten Straße. Ich wundere mich nicht. Papageien sind kluge und neugierige Tiere, warum sollten sie in einer langweiligen Umgebung leben?

Samstag, 17. September

Die bdw-Leser sind gestern nach dem Abendessen noch in zwei Gruppen zu einem Nacht-Ausflug aufgebrochen. Sie sahen Krabbenfresser-Füchse, die eine Gruppe begegnete sogar einem Tamandua. Das ist ein kleiner Ameisenbär, der aussieht, als habe er eine Weste an. Er habe am Rand der Straße gestanden und sei rasch davongelaufen, als dem Reiseführer, der ihn anleuchten wollte, die Taschenlampe aus der Hand fiel, erzählt die Österreicherin.

Vor drei Tagen soll der Ameisenbär sogar auf der Lodge aufgetaucht sein, morgens um 9. Als ich das höre, beschließe ich, heute am Samstag nicht zur Frühwanderung mitzugehen, sondern am Pool auf sein Wieder-Erscheinen zu warten. Leider kommt er nicht.

Es ist unser letzter Tag im Pantanal, und das kollektive Interesse an den Vögeln lässt langsam nach. Das Spektiv steht irgendwo im Garten hinter den Hütten. Wenn man hineinschaut, sieht man einen Tagschläfer. Das ist ein eulenartiger Vogel, der den ganzen Tag still sitzt und die Augen zumacht. Gleichsam das Gegenteil der unermüdlichen bdw-Leserschaft.

Am Nachmittag fahren wir auf die Chapada dos Guimaraes, eine Tafelberg-Landschaft, dramatisches Klippenpanorama in Sandsteinrot. Wieder ein Kontrast, der nahezu wehtut. Abends sind wir nach Tagen der Stille wieder online, in einem lärmenden Touristenhotel mit Internet-Anschluss. Ach, Pantanal.

Alle Berichte von Judith Rauch aus Südamerika finden Sie hier.

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