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Die rechte Wahl

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Die rechte Wahl
Kurz vor dem Halbfinale der Frauen-Fußballweltmeisterschaft haben niederländische Psychologen eine ? möglicherweise ? entscheidende Entdeckung gemacht: Steht ein Torwart stark unter Druck, weil seine Mannschaft während des Elfmeterschießens im Rückstand ist, neigt er dazu, sich eher nach rechts als nach links zu werfen. Dahinter steckt offenbar eine generelle Tendenz der linken Hirnhälfte, bei automatischen Reaktionen zu übernehmen ? und da die linke Hirnhälfte die rechte Körperseite steuert, wirkt sich das in einem deutlichen Rechtsdrall aus. Voraussetzung für diesen Effekt sind allerdings zwei Dinge: Das Verhalten des Torhüters darf nicht von Angst vor dem Versagen bestimmt werden und es muss wirklich etwas auf dem Spiel stehen ? wie beispielsweise der Einzug ins Finale einer Weltmeisterschaft.

Die Tendenz nach rechts gibt es nicht nur beim Menschen, führen die Forscher aus: Hunde wedeln beim Anblick ihres Herrchens mit ihrem Schwanz immer ein wenig mehr nach rechts als nach links, Kröten bevorzugen Beutetiere auf ihrer rechten Seite, und Menschen drehen ihren Kopf beim Küssen vorzugsweise nach rechts. Allen diesen Verhaltensweisen ist eins gemeinsam: Sie zielen darauf ab, etwas Positives zu erreichen. Betrachte man hingegen Vermeidungstaktiken, so sei keine derartig einseitige Neigung vorhanden, erläutern die Forscher.

Sie konnten den Rechtsdrall in ihrer Studie auch direkt belegen. Dazu ließen sie 38 Studenten ein Bild einer Comicmaus in einem Labyrinth betrachten, in dessen Mitte entweder ein leckeres Stückchen Käse lag oder eine bösartig aussehende Eule lauerte. Die Hälfte der Gruppe sollte dann eine möglichst detailreiche Geschichte über den schönsten Tag der Maus schreiben ? den Tag, an dem sie das fette Stück Käse fand und genüsslich verzehrte. Die andere Hälfte bekam den Auftrag, eine Geschichte über den letzten Tag im Leben der Maus zu erfinden, an dem diese von der lauernden Eule gefangen, getötet und gefressen wird.

Die Idee dahinter: Die erste Gruppe sollte durch die Geschichte auf ein positives Ziel eingestimmt werden und die zweite darauf, unbedingt etwas zu vermeiden. Anschließend nahmen beide Gruppen am eigentlichen Test teil, in dem sie möglichst genau die Mitte einer Linie, die auf einem Monitor auftauchte, markieren sollten. Manche Probanden sahen die Linie lediglich 1,5 Sekunden lang, während andere bequeme 4 Sekunden Zeit für die Aufgabe bekamen. Fazit des Ganzen: Diejenigen, die der Käsegruppe angehört hatten und zusätzlich unter Zeitdruck standen, tendierten messbar nach rechts ? die anderen Gruppen nicht.

Nach diesem Experiment nahmen sich die Wissenschaftler die FIFA-Statistiken aller Weltmeisterschaften zwischen 1982 und 2010 vor, um zu sehen, ob es den Effekt auch sozusagen in freier Wildbahn gibt. Ausgewertet wurden alle Elfmeterschießen, die während der Weltmeisterschaften stattgefunden hatten. Im Fokus dabei: der Torwart. Denn der steht während eines Elfmeters unter einem enormen Zeitdruck ?wenn der Ball den Fuß des Schützen verlassen hat, hat er lediglich etwa eine halbe Sekunde Zeit, sich zu entscheiden, in welche Richtung er springt. Folglich erwischen sie auch nur etwa jeden fünften Ball ? eine miese Quote, die ihnen dennoch kaum jemand übel nimmt. Oliver Kahn hat es einmal so ausgedrückt: „Der Einzige, der verlieren kann beim Elfmeter, ist der Schütze.“ Der Torwart hingegen gilt als Held, wenn er einen Ball hält. Es ist also meist nicht die Angst vor dem Versagen, die den Torwart beim Elfmeterschießen antreibt, sondern der Wunsch, eine heldenhafte Leistung zu erbringen ? eine eindeutig positive Motivation. Kommt dann noch ein Rückstand der eigenen Mannschaft hinzu, werde dieser Antrieb besonders stark, erläutern die Forscher. Wenn es also einen gewissen Rechtsdrall irgendwo beim Fußball gebe, dann müsste er in einer solchen Situation auftreten, so ihre Überlegung.

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Die Auswertung von insgesamt 204 Schüssen in 22 Spielen zeigte: 71 Prozent trafen, 20 Prozent hielt der Torwart und 9 Prozent gingen daneben. Gab es einen Rückstand einer Mannschaft, warf sich deren Keeper in 71 Prozent der Fälle nach rechts und nur in 29 Prozent nach links ? lagen die Teams dagegen gleichauf oder führte das eigene Team, war die Häufigkeit von rechts und links praktisch gleich groß. Besonders erfolgreich war diese Rechts-Tendenz übrigens nicht: Da die Schützen keinerlei messbaren Drall zeigten, hielten die Torhüter bei einem Rückstand der eigenen Mannschaft und dem damit einhergehenden Rechtsdrang lediglich 8 Prozent der Schüsse, während sie sonst immerhin 22 Prozent schafften. Mit anderen Worten: Wenn das Team des Torhüters hinten lag, konnte der Gegner 90 Prozent der Schüsse verwandeln. Stand es unentschieden, lag die Quote bei 79 Prozent, und wenn die Mannschaft führte, waren es sogar nur 73 Prozent.

Genau dann, wenn es wirklich drauf ankomme, reagierten die Torhüter demnach so, dass sich die Chancen deutlich verschlechtern, resümieren die Wissenschaftler. Ihre Erklärung für dieses Paradoxon: Die Neigung zu einer bestimmten Seite habe sich vermutlich im Verlauf der Evolution immer dann als positiv erwiesen, wenn eine Gruppe gemeinsam schnell handeln musste ? etwa um einem Feind zu entgehen oder auch bei einem Angriff. Entscheiden sich nämlich alle automatisch für eine Seite, braucht man weniger Abstimmung und ist effizienter und schneller. Was jedoch bei der Koordination einer Gruppe von Vorteil ist, stelle sich in einer Situation, in der ein einzelner alleine zum Handeln gezwungen ist, als Nachteil heraus ? und könne zudem von anderen ausgenutzt werden.

Marieke Roskes (Universität Amsterdam) et al.: Psychological Science, in press wissenschaft.de ? Ilka Lehnen-Beyel
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