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Schluss mit dem Blindflug

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Schluss mit dem Blindflug
US-Forscher haben bei Mäusen erfolgreich die Bluterkrankheit behandelt ? mit einer Premiere: Es gelang ihnen erstmals, ein kaputtes Gen im Körper eines lebenden Tiers gezielt zu reparieren. Die Wissenschaftler ersetzten dazu im Erbgut der Tiere, die wegen einer gentechnischen Veränderung unter der Hämophilie litten, das defekte Gen mit dem Bauplan für einen Blutgerinnungsfaktor durch eine Variante mit dem korrekten Bauplan. Der Trick dabei: Statt einer einzigen Genfähre verwendeten sie zwei verschiedene ? eine mit der Anweisung für den Bau einer Art DNA-Schere, die ganz gezielt den defekten Abschnitt ausschneidet, und eine mit dem Ersatzgen. Zusammen schafften es die beiden, in der Leber der Mäuse die Produktion des Gerinnungsfaktors anzuleiern und dadurch die Blutgerinnung nahezu zu normalisieren ? ohne dass es zu den für Gentherapien sonst typischen Nebenwirkungen gekommen wäre, sagen die Forscher. Zwar sei es noch ein weiter Weg bis zum klinischen Einsatz, die Studie habe aber gezeigt, dass es prinzipiell möglich sei, defekte Gene direkt vor Ort im Körper zu reparieren.

Viel versprochen, wenig eingelöst: Gentherapien, bei denen ein defektes Gen durch eine intakte Kopie ersetzt werden soll, haben sich bisher in keiner klinischen Studie wirklich bewährt. Eines der Probleme, das den Medizinern bei praktisch allen Ansätzen zu schaffen macht: Es lässt sich nicht planen, wo das Ersatzgen ins Erbgut eingebaut wird. Schiebt es sich beispielsweise in einen für die Zelle lebenswichtigen Abschnitt hinein, kann das den Tod der Zelle bedeuten ? oder aber ihre Entartung, wenn es beispielsweise ein Kontrollgen für die Teilung erwischt. Und selbst im besten Fall, wenn keine wichtigen Gene durch das Einsetzen zerstört werden, wird das Ersatzgen niemals der normalen Steuerungsmaschinerie der Zelle gehorchen, weil es sich nicht an der richtigen Stelle im Erbgut befindet.

Aus diesem Grund suchen Wissenschaftler schon lange nach einer Möglichkeit, den Ort des Einbaus gezielt zu steuern. Als vielversprechendes Werkzeug für einen derartigen Ansatz galten ebenfalls bereits seit längerem sogenannte Zinkfinger-Nukleasen. Dabei handelt es sich um künstlich geschaffene Enzyme, die DNA wie eine Schere schneiden können und die zusätzlich mit einer Art Navigationssequenz ausgestattet sind, einem kurzen DNA-Stück, das es ihnen erlaubt, sich an ganz bestimmte Stellen im Erbgut anzuheften ? und zwar nur dort. Dadurch lassen sich die Scheren maßschneidern: Sie können dank des DNA-Stücks so designt werden, dass sie an nahezu jede gewünschte Position im Genom andocken und dort arbeiten können.

Auch Katherine High, die am Children’s Hospital in Philadelphia seit vielen Jahren an der Entwicklung einer Gentherapie für die Bluterkrankheit arbeitet, und ihre Kollegen nutzten eine solche Zinkfinger-Nuklease ? in diesem Fall eine, die so entworfen war, dass sie am F9-Gen andocken kann. Dieses Gen trägt den Bauplan für den Gerinnungsfaktor IX und ist bei Menschen mit Hämophilie B, einer der beiden häufigsten Formen der Bluterkrankheit, funktionsunfähig. Sie bauten das Nuklease-Gen in ein unschädlich gemachtes Virus namens AAV ein und spritzten diese beladene Genfähre zusammen mit einer zweiten, die eine einfache Variante des korrekten Faktor-IX-Bauplans trug in die Bauchhöhle von neugeborenen Mäusen. Beide Fähren steuerten die Leber der Mäuse an ? den Ort, an dem die Blutgerinnungsfaktoren vor allem produziert werden ? und begannen dort ihre Arbeit.

Nach 10 Wochen schauten die Forscher sich dann Lebergewebe der Tiere an, bestimmten die Konzentration von Faktor IX im Blut und testeten, ob sich die Blutgerinnung verbessert hatte. Tatsächlich erreichte der Spiegel des Gerinnungsfaktors im Blut Werte zwischen drei und sieben Prozent der normalen Konzentration ? zwar ein bescheidener Erfolg, aber dennoch einer, der einen sehr positiven Einfluss auf die Blutgerinnung hatte: Dauerte es bei den unbehandelten Mäusen im Schnitt mehr als 67 Sekunden, bis die Gerinnung einsetzte, sank die Zeit nach der Behandlung auf 44 Sekunden ? und dauerte damit nur sieben Sekunden länger als bei gesunden, gentechnisch nicht veränderten Tieren, berichten die Forscher. Auch die genetische Untersuchung bestätigte den Erfolg: Das Ersatz-Gen war genau dort ins Erbgut der Leberzellen eingebaut worden, wo die Forscher es haben wollten. Der Effekt war auch nach den acht Monaten, die die Studie insgesamt dauerte, noch vorhanden.

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Der Ansatz habe sich vorher schon in kultivierten Zellen bewährt und damit als aussichtreicher Kandidat für alle Behandlungen positioniert, bei denen dem Patienten eigene Zellen entnommen und nach der Manipulation wieder implantiert werden können. Da dieses Vorgehen jedoch für viele Erkrankungen, bei denen ganze Organsysteme betroffen sind, nicht infrage komme, sei es wichtig gewesen, zu prüfen, ob man die gleiche Behandlung auch vor Ort im Körper selbst vornehmen könne, erläutert Studienleiterin High. Das sei nun erstmals gelungen. Bis zum klinischen Einsatz sei es aber noch ein weiter Weg, der durchaus noch viele Jahre in Anspruch nehmen könne. „Dieses Manipulieren des Genoms im lebenden Organismus wird noch Zeit brauchen, um zu einer wirklichen Behandlung zu reifen, aber es ist definitiv das nächste Ziel bei der Entwicklung von Gentherapien“, sagt High.

Hojun Li (Children’s Hospital of Philadelphia) et al.: Nature, doi: 10.1038/nature10177 wissenschaft.de ? Ilka Lehnen-Beyel
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