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Ute Kehses Japan-Report: Die Sprache der Erdbeben

Erde|Umwelt

Ute Kehses Japan-Report: Die Sprache der Erdbeben
Nach dem Erdbeben und Tsunami vom 11. März überschwemmt derzeit eine Flut von Zahlen die Nachrichten. Von der Richter-Skala ist wieder viel zu hören, aber auch von Magnituden, Intensitäten und von hunderten, teils starken Nachbeben ? zuletzt heute Morgen. Da kann man leicht durcheinander geraten: Was hat die Stärke auf der Richterskala eigentlich mit der Zerstörungskraft eines Erdbebens zu tun? Wenn man die traurigen Bilder aus der japanischen Katastrophenregion betrachtet ? die Eindrücke aus Haiti, Sumatra, Chile und Sichuan noch frisch im Gedächtnis ?, stellt sich auch die Frage, ob Erdbeben in letzter Zeit zugenommen haben. Und: Warum schaffen es die Seismologen eigentlich nicht, Erdbeben vorherzusagen? Zum Schluss des regelmäßigen Japan-Reports gibt es hier nun einige Antworten.

Richter vs seismisches Moment

Wie stark ist ein Erdbeben? Der kalifornische Seismologe Charles Richter entwickelte 1935 eine Methode, um Erdstöße zu vergleichen. Er berechnete aus dem Ausschlag eines Standard-Seismographen und der Entfernung zum Bebenherd die Erdbebenstärke ? die sogenannte Magnitude. Die Skala, die er entwickelte, ist logarithmisch. Das heißt, die Bodenbewegung bei einem Erdbeben der Magnitude 6 ist zehnmal so stark wie bei einem Beben der Magnitude 5, die Energie steigt sogar um den Faktor 30.

Richters ursprüngliche Methode funktioniert allerdings nur bei Beben bis zur Magnitude 7 und bei Abständen von weniger als 700 Kilometern. Für stärkere Beben und größere Entfernungen ist sie ungenau. Daher verwenden Seismologen inzwischen andere Verfahren, um aus bestimmten Erdbebenwellen Magnituden zu errechnen. Es gibt zum Beispiel die Raumwellen- oder die Oberflächenwellenmagnitude. Diese Skalen sind an die ursprüngliche Richter-Skala angepasst, die Werte stimmen in etwa überein. Allerdings haben auch diese Skalen ein Problem: Wenn man nur den Ausschlag der Seismographen betrachtet, unterscheidet sich ein Magnitude 8,4-Beben nicht von einem Magnitude-9-Beben, obwohl es ein Vielfaches der Energie freisetzt. „Die Erschütterungen werden nämlich ab einer bestimmten Magnitude nicht mehr stärker, aber sie dauern länger an“, erläutert Frederik Tilmann vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam.

Zur Beschreibung starker Beben benutzen Seismologen daher inzwischen die sogenannte Moment-Magnitude, so auch der geologische Dienst der USA in seinen offiziellen Mitteilungen. Das seismische Moment hängt von der Größe der Bruchfläche und der Verschiebung ab und ist daher ein besseres Maß für die freigesetzte Energie als die Bodenbewegung. Es kann mit Hilfe von Seismogrammen, aber auch mit geodätischen Messungen bestimmt werden. Ein Erdbeben der Magnitude 6 setzt etwa die Energie einer Hiroshima-Bombe frei. Magnitude 9 entspricht dem gesamten Energieverbrauch von Großbritannien in einem Jahr.

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Hat sich ein Erdbeben ereignet, wird zuerst ein vorläufiger Magnitudenwert angegeben. Nach ein paar Tagen, wenn mehr Daten vorliegen und genauere Analysen durchgeführt sind, wird der erste Wert häufig korrigiert. Auch jetzt in Japan änderte sich die Einstufung des Bebens: Der USGS und die Japan Meteorological Agency stuften das Tohoku-Beben unabhängig voneinander am 14. März von 8,9 auf 9,0 hoch.

Was ist die Intensität?

Welche Zerstörung ein Erdbeben anrichtet, hängt nicht nur von seiner Magnitude ab, sondern zum Beispiel auch davon, wie fest der Untergrund ist. Oder wie weit entfernt der Bebenherd liegt. Um das Geschüttel an der Oberfläche zu beschreiben, gibt es daher spezielle Skalen, zum Beispiel die „modifizierte Mercalli-Skala“ oder die „europäische makroseismische Skala“. Sie beschreiben die Auswirkungen eines Erdbebens auf Menschen, Gebäude und die Natur: die Intensität. Die Skalen reichen von I („nur unter günstigen Bedingungen spürbar“) bis XII („völlige Zerstörung“). Das Problem: Da Intensitäts-Skalen auf Schäden an unterschiedlichen Gebäudetypen und subjektiven Wahrnehmungen beruhen, sind sie nicht immer vergleichbar. Das ist zum Beispiel problematisch, wenn es gilt, mögliche Schäden an einem Atomkraftwerk abzuschätzen, sagt der Seismologe Frank Scherbaum von der Universität Potsdam.

Mittlerweile berechnen Seismologen die seismische Intensität aber auch aus Messwerten, zum Beispiel aus der maximalen Bodenbeschleunigung an einem Ort. In den USA stellen die Seismologen des USGS bereits kurz nach einem Beben eine Erschütterungskarte (Shakemap) her, um die Schäden abzuschätzen und Rettungsdienste in die am schlimmsten betroffenen Gebiete zu schicken.

Nehmen Erdbeben zu?

In der Dekade von 2000 bis 2009 forderten Erdbeben von allen Naturkatastrophen die meisten Todesopfer. Nach den verheerenden Erdbeben in Haiti und Chile 2010 und jetzt in Japan steht zu befürchten, dass sich dieser traurige Trend auch in diesem Jahrzehnt fortsetzen wird.

Die Zahl der Erdbeben auf der Erde nimmt allerdings nicht zu. Im Durchschnitt ereignen sich etwa 20 Magnitude-7-Beben pro Jahr, etwa ein Beben der Magnitude 8, und alle zehn Jahre gibt es im Durchschnitt ein Magnitude-9-Beben. In den letzten Jahren haben sich diese Riesenbeben tatsächlich gehäuft: Die Erdstöße von Sumatra (2004, Magnitude 9,3), Chile (2010, Magnitude 8,8) und jetzt Japan (Magnitude 9,0) zählen zu den zehn stärksten jemals gemessenen Beben. Die ebenfalls zerstörerischen Beben von Sichuan (Magnitude 7,9) und Haiti (Magnitude 7,0) waren dagegen seismologisch gesehen nicht ungewöhnlich stark.

Doch bislang ist die Erdbeben-Statistik zu klein, um einen Trend zu erkennen. Eine ähnliche Serie wie jetzt ereignete sich auch zwischen 1952 und 1964, mit Megabeben in Alaska, Chile und Kamtschatka. Wahrscheinlich erleben wir zurzeit einfach eine zufällige Häufung ? auch wenn einige Forscher glauben, dass die derzeitige Serie eine Nachwirkung des Sumatra-Bebens sein könnte (siehe Bericht im New Scientist). Dass Erdbeben häufig so viele Todesopfer fordern, hat aber vor allem damit zu tun, dass immer mehr Menschen in erdbebengefährdeten Regionen wohnen ? und dass die Bausubstanz in vielen ärmeren Ländern schlecht ist. In den Industrieländern ist die Gefahr, durch ein Erdbeben zu sterben, in den letzten hundert Jahren um den Faktor zehn gesunken ist. In Entwicklungsländern steigen die Opferzahlen dagegen.

Kann man Erdbeben vorhersagen?

Den genauen Ort und Zeitpunkt eines Erdbebens kann bislang niemand vorhersagen. Forscher haben lange nach allen möglichen „Vorläuferphänomenen“ gesucht, die ein starkes Beben ankündigen. Bislang ohne Erfolg. Viele Seismologen gehen inzwischen davon aus, dass Erdbeben prinzipiell nicht vorhergesagt werden können, weil die Erdkruste ein chaotisches System ist. Andere glauben, dass man Störungszonen nur gut genug überwachen muss, um zu bemerken, wo die Spannung eine kritische Grenze erreicht. Schließlich funktioniert die Wettervorhersage inzwischen recht gut, obwohl sich auch die Atmosphäre chaotisch verhält. Tatsächlich könnten GPS-Messungen, dichte seismische Netze und unterirdische Observatorien es in Zukunft leichter machen, die Vorgänge in der Tiefe der Erdkruste besser zu verstehen.

Statistische Vorhersagen wagen Seismologen inzwischen durchaus. So rechnen USGS-Geophysiker Anfang 2008 aus, dass Kalifornien mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent von einem Beben der Magnitude 6,7 oder mehr getroffen wird. Seit der Entdeckung der Plattentektonik weiß man auch ungefähr, an welchen Stellen Erdbeben auftreten ? nämlich bevorzugt an den Plattengrenzen. Allerdings halten sich Erdbeben häufig nicht einmal an diese Gesetzmäßigkeiten. Immer wieder werden Seismologen von Erdbeben überrascht. So auch jetzt wieder: „Kaum ein Experte hatte angenommen, dass die seismische Zone vor Sendai einen auch nur annähernd so starken Schock produzieren könnte wie das Magnitude-9-Beben am 11. März“, schrieb das Magazin Nature. Die bisher bekannte Erdbebengeschichte der Region schien diese Annahme zu belegen.

Das zeigt: Seismologen müssen wohl erst noch eine Menge Daten sammeln, um sinnvolle Voraussagen treffen zu können. Die einzige Möglichkeit, sich auf Erdbeben vorzubereiten, sei es, das „Unerwartete zu erwarten“, sagt der Seismologe Robert Geller von der Universität von Tokio.

Alle Beiträge in Ute Kehses Japan-Report finden Sie hier

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