Grundlage für den neuen Erfolg sind die WPC3-Messungen der Helligkeit von über 600 Cepheiden-Sterne in sichtbaren und nahen Infrarot-Wellenlängen – mehr als die Hälfte davon wurden dabei zum ersten Mal vermessen. Cepheiden sind pulsierende Sterne mit periodischen Helligkeitsschwankungen. Sie lassen sich zur Entfernungsbestimmung besonders gut verwenden, was schon Edwin Hubble ausnutzte. Außerdem konnte Riess mit seinen Kollegen einen zweiten Distanzindikator in den acht inspizierten Galaxien nutzen: Supernovae vom Typ Ia. Diese Sternexplosionen haben alle eine ähnliche und gut untersuchte Helligkeit. Die Kombination aller Messungen mit derselben Kamera hat viele systematische Fehler eliminiert, die bislang für Unsicherheiten sorgten, erläutern die Forscher.
Der neue und bislang beste Wert für die Hubble-Konstante beträgt 73,8 Kilometer pro Sekunde und Megaparsec. Das bedeutet, dass sich der Weltraum über eine Strecke von einem Megaparsec – das sind 3,26 Millionen Lichtjahre – in jeder Sekunde um 73,8 Kilometer vergrößert. Diese Expansion findet nicht innerhalb der Galaxien statt, die von der Schwerkraft zusammengehalten werden, sondern nur in den Leerräumen zwischen den Galaxienhaufen. Die Ausdehnung ist vergleichbar mit dem aufgehenden Teig eines Rosinenkuchens: Alle Rosinen – die Galaxienhaufen – streben voneinander fort, wenn das Teigvolumen – der Raum- zunimmt. Allerdings dehnt sich der Weltraum nur „innerlich“ aus, nicht etwa in eine umgebende Leere – da hinkt der Kuchen-Vergleich.
Die neuen Messungen haben schon jetzt weitreichende Konsequenzen. Das betrifft vor allem die mysteriöse Dunkle Energie. Ihre Existenz nehmen viele Kosmologen seit 1998 an. Damals hatten zwei Forscherteams – eines unter Mitwirkung von Riess – entdeckt, dass ferne Supernovae Ia lichtschwächer sind als erwartet. Das deutet darauf hin, dass sich der Weltraum schneller ausdehnt als berechnet. Mehr noch: Die Expansion verlangsamt sich nicht aufgrund des „bremsenden“ Schwerkraft-Einflusses der Galaxien, wie bis dahin angenommen, sondern sie wird immer schneller. Das könnte durch den „Antischwerkraft-Effekt“ der Dunklen Energie verursacht werden. Die einfachste Erklärung dafür ist die schon 1917 von Albert Einstein in die Kosmologie und Relativitätstheorie eingeführte Kosmologische Konstante.
„Wir haben unsere neue Kamera im Hubble-Weltraumteleskop wie die Radarpistole eines Polizisten eingesetzt, um zu messen, wie schnell das All ist“, sagt Riess. „Es sieht ganz so aus, dass es die Dunkle Energie ist, die aufs Gaspedal drückt.“ Denn die neuen Messungen sprechen gegen eine theoretische Alternative zur Dunklen Energie: Wenn sich die Milchstraße nahe beim Zentrum einer riesigen kosmischen Blase befände – einer rund acht Milliarden Lichtjahre großen Region ungewöhnlich geringer Materiedichte -, dann würde das die beschleunigte Ausdehnung nur vortäuschen. In Wirklichkeit würde sich der Weltraum somit gar nicht immer schneller ausdehnen. Stattdessen wäre die Hubble-Konstante in unserer weiträumigen Nachbarschaft einfach nur größer als im sehr fernen Universum. Auf die Annahme der Dunklen Energie könnte dann verzichtet werden.
Zwar hielten die meisten Kosmologen die Blasen-Hypothese für extrem unwahrscheinlich, doch widerlegen ließ sie sich nicht. Allerdings wäre für sie eine Hubble-Konstante von höchstens 60 bis 65 Kilometer pro Sekunde und Megaparsec erforderlich. Das haben die neuen Daten nun ausgeschlossen. Die Astronomen werden die Dunkle Energie also nicht los. Indessen ist Riess optimistisch, in wenigen Jahren die Präzision der Messungen noch verdoppeln zu können, um die Natur des ominösen Gaspedals im Kosmos besser zu verstehen.