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Mit dem Joystick gegen die Sucht

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Mit dem Joystick gegen die Sucht
Eine Art Computerspiel könnte Alkoholikern nach einem Entzug helfen, langfristig trocken zu bleiben. Das hat ein Forscherteam um Johannes Lindenmeyer von der Salus-Klinik in Lindow anhand einer Studie mit über 200 Teilnehmern gezeigt. In dem von den Psychologen entwickelten Spiel sehen die Teilnehmer Fotos von alkoholischen Getränken auf dem Bildschirm und üben, sich scheinbar von ihnen wegzubewegen, indem sie einen Joystick betätigen. So trivial diese Übung auch scheint, sie scheint zumindest in manchen Fällen tatsächlich zu helfen, entdeckten die Psychologen: Alkoholabhängige, die nach einem Entzug und vor einer regulären Therapie an einem solchen Training teilnahmen, hatten nach einem Jahr eine geringere Rückfallquote als Teilnehmer einer Vergleichsgruppe ohne Training. Das Computertraining wirkt vermutlich, weil es die Betroffenen dazu bringt, beim Anblick von Alkohol unmittelbar mit Vermeidung anstatt mit Annäherung zu reagieren, schreiben Lindenmeyer und sein Team.

Schon in früheren Studien hatte das Forscherteam entdeckt, dass Alkoholabhängige beim Anblick alkoholischer Getränke auf einem Bildschirm impulsiv dazu neigen, diese mit Hilfe eines Joysticks zu vergrößern, sich ihnen also sozusagen zu nähern. Bei Menschen, die nur wenig Alkohol trinken, tritt diese Reaktion dagegen nicht auf. Diese spontane Annäherung trägt vermutlich dazu bei, dass viele trockene Alkoholiker mit der Zeit wieder rückfällig werden, erläutern die Forscher. Sie wollten in ihrer aktuellen Untersuchung nun testen, ob eine gezielte Manipulation dieses Verhaltens hilft, die impulsive durch eine kontrollierte Reaktion zu ersetzen, nämlich dem Ausweichen vor alkoholischen Getränken.

Dazu untersuchten die Forscher insgesamt 214 Alkoholiker, die in der Salus-Klinik an einer Entzugsbehandlung teilgenommen hatten. Drei Wochen nach dem Entzug spielten die Probanden an vier aufeinanderfolgenden Tagen je 15 Minuten lang das Computerspiel. 108 Probanden erhielten dabei die Anweisung, aus Bildern mit Alkohol herauszuzoomen – so, als ob sie sich von dem Dargestellten entfernten. In Bilder mit nicht alkoholischen Getränken sollten sie dagegen durch ein Heranziehen des Joysticks sozusagen hineinfahren, was einer Annäherung entspricht. Diese Trainingsmethode nennen die Forscher „Modifikation des kognitiven Bias“ (Cognitive Bias Modification oder CBM). Die 106 Teilnehmer der Kontrollgruppe erhielten entweder keine Anweisung oder mussten bei den Alkoholbildern nach dem Zufallsprinzip hinein- und herauszoomen.

Eine Woche später testeten die Forscher, wie stark die Probanden dazu neigten, Alkohol und Annäherung zu verknüpfen – eine Probe, die sie auch bereits vor Beginn der Studie gemacht hatten. Das Ergebnis: Bei denjenigen, die sich im Spiel von den Bildern mit Alkoholika entfernt hatten, war die ursprünglich vorhandene Verknüpfung deutlich abgeschwächt. So brachten sie nach dem Training im Gegensatz zu vorher Wörter, die mit Alkohol zu tun haben, eher mit Wörtern rund um das Konzept des Vermeidens in Zusammenhang als mit Wörtern, die mit Annäherung zu tun haben. Solche Veränderungen waren in der Kontrollgruppe nicht zu beobachten.

Anschließend nahmen alle Patienten an der bei Alkoholsucht üblichen Behandlung teil. Dazu gehörte vor allem eine dreimonatige kognitive Verhaltenstherapie, in der sie lernten, ihre Trinkgewohnheiten zu hinterfragen und zu verändern. Nach einem Jahr untersuchten die Forscher schließlich, wie viele der Patienten tatsächlich trocken geblieben waren. Dabei lag die Rückfallquote in der Gruppe, die keine CBM erhalten hatte, bei 59 Prozent, während sie in der CBM-Trainingsgruppe nur 46 Prozent betrug. Obwohl sich dieser Unterschied nicht mit absoluter Sicherheit auf das Computertraining zurückführen lässt, glauben die Psychologen, dass die Methode Alkoholkranken nach einer Entzugsbehandlung helfen kann. „Das Training sollte deshalb fester Bestandteil einer regulären Therapie werden“, sagt Reinout Wiers von der Universität in Rotterdam, einer der beteiligten Forscher.

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Johannes Lindenmeyer (Salus-Klinik, Lindow) et al: Psychological Science, doi: 10.1177/0956797611400615 dapd/wissenschaft.de – Christine Amrhein
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