Das Meeresbakterium Crocosphaera watsonii hat es mit Hilfe eines ausgeklügelten Recyclingsystems geschafft, auch sehr nährstoffarme Gewässer zu erobern: Es nutzt das in vielen Ozeanen äußerst knappe Eisen doppelt, haben US-Forscher entdeckt. Tagsüber bauen die Bakterien es in Enzyme ein, mit denen sie per Fotosynthese Kohlenhydrate aus Kohlendioxid herstellen. Nachts dagegen wird das gleiche Eisen in andere Enzyme eingefügt und dazu benutzt, Stickstoffverbindungen herzustellen, die – wie an Land auch – als eine Art Dünger für Wasserpflanzen und andere Organismen dienen. Durch den Auf- und Abbau der beiden Enzymvarianten benötigt C. watsonii nur etwa 60 Prozent der Eisenmenge, die nötig wäre, wenn beide Enzymvarianten stets auf Vorrat gehalten würden, schreibt das Team um Mak Saito von der Woods Hole Oceanographic Institution.
Crocosphaera watsonii gehört zu den sogenannten Cyanobakterien und ist einer der wenigen im Meer lebenden Mikroorganismen, die den im Wasser gelösten Luftstickstoff in organische Stickstoffverbindungen umwandeln können. Das kommt nicht nur ihm selbst zugute, sondern fördert auch das Wachstum von anderen Pflanzen und Tieren, die auf die Stickstoffverbindungen angewiesen sind. Diese sogenannte Stickstofffixierung ist jedoch durch die spärliche Menge an Eisen begrenzt, die im Wasser vorhanden ist. Denn das Eisen ist essenziell für die Enzyme, die für die Stickstoff-Umwandlung benötigt werden.
Crocosphaera watsonii begegnet diesem Problem auf eine ganz eigene Art: “Das Bakterium ähnelt ein wenig Dr. Jekyll und Mr. Hyde – Fotosynthese am Tag und Stickstofffixierung in der Nacht”, sagt Saito. Dazu muss die Mikrobe die verschiedenen Enzyme, die für die beiden Vorgänge benötigt werden, jeden Morgen und jeden Abend auf- und wieder abbauen – ein Prinzip, das ziemlich energieaufwendig ist. Doch dieser Aufwand scheint sich zu lohnen, da so die Nutzung der spärlichen Eisenvorräte in den Ozeanen optimiert wird, glauben die Forscher. Würde der Mikroorganismus nämlich beide Enzymsätze Tag und Nacht aufrechterhalten, würde er viel mehr Eisen benötigen. Saito schätzt, dass das Bakterium durch seine Doppelstrategie mit rund 40 Prozent weniger Eisen überleben und dadurch auch Regionen besiedeln kann, in denen der Eisengehalt des Wassers sehr gering ist. Die Strategie von Crocosphaera watsonii, das wertvolle Eisen in einem Tag-Nacht-Rhythmus wiederzuverwenden, könnte daher laut den Forschern eine Schlüsselrolle für das Leben in den Ozeanen spielen.
Entsprechend seinem Lebensraum haben die Wissenschaftler die Taktik von Crocosphaera watsonii nach einem Begriff aus der Seefahrt getauft: Sie nennen sie “Hot-Bunking”, was zu Deutsch etwa “Prinzip der warmen Koje” bedeutet. Darunter versteht man, dass sich die Besatzungsmitglieder eines Schiffes Schlafkojen während der Tag- und Nachtschicht teilen müssen
Mak Saito (Woods Hole Oceanographic Institution) et al.: PNAS, doi: 10.1073/pnas.1006943108 dapd/wissenschaft.de ? Hans Groth