Wärme schwächt „natürliche Bungee-Seile“
Doch die „natürlichen Bungee-Seile“, wie Carrington die Byssusfäden nennt, sind nicht immer gleich stabil, wie frühere Studien zeigten. Rasen im Spätsommer und Frühherbst Stürme über die küstennahen Muschelbänke hinweg, reißen sie mehr Muscheln los als zu anderen Jahreszeiten. An der US-Ostküste seien bei einem solchen Sturm bis zu einem Drittel der Schalentiere weggespült worden, berichtet die Forscherin. Woran das liegt, ob am Wetter, dem Fortpflanzungszyklus der Muscheln oder anderen Faktoren, haben Carrington und ihre Kollegen nun in einem Experiment untersucht. Ihre Ergebnisse präsentieren sie heute auf der Jahrestagung der American Association for the Advancement of Science (AAAS) in Boston.
Die Forscher setzten dafür Miesmuscheln in den Meerwasserbecken ihres Labors in Friday Harbor nacheinander verschiedenen möglichen Stressfaktoren aus. Sie testeten unter anderem, wie fest neu gebildete Byssusfäden bei verschiedenen Wassertemperaturen und unterschiedlichen pH-Werten waren. Das Ergebnis: In den Becken mit 25 Grad Celsius warmem Wasser waren die Muschelfäden 60 Prozent schwächer als in den Becken mit kühlen 10 bis 18 Grad. Offenbar, so schlussfolgern die Forscher, beeinflusst die höhere Wassertemperatur den Aufbau der stabilen, vernetzten Eiweiße. Das könnte erklären, warum die Fäden im Spätsommer so schwach sind, wenn das Meer in flachen Küstenbereichen von der Sonne aufgeheizt ist. „Normalerweise liegen die Wassertemperaturen an der Küste rund um unser Labor nur bei 12 bis 14 Grad, aber in flachen Buchten kann es sehr viel wärmer werden“, sagt Carrington.
Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass der Klimawandel und die durch ihn wärmer werdenden Meere, den Muscheln in Zukunft zumindest an bestimmten Standorten zusetzen könnten. Zu wissen, welche Temperaturen für die Schalentiere noch verträglich seien, sei daher wichtig, um ihre künftige Entwicklung abschätzen zu können, meinen die Forscher. „Muscheln stehen an der Basis des marinen Nahrungsnetzes, Bedingungen, die den Muscheln schaden, beeinträchtigen daher nicht nur kommerzielle Muschelzüchter, sondern auch Tiere wie Krebse, Hummer oder Seeanemonen, die sich von den Muscheln ernähren“, sagt Carrington. Zudem seien die Muschelbänke wichtige Lebensräume der Gezeitenzone. Gingen sie verloren, habe das Folgen für zahlreiche andere Lebewesen in diesen Küstengebieten.