Hagelkörner als Studienobjekt
Um dennoch einen Einblick in die Lebenswelt einer solchen Wolke zu erhalten, griffen die Forscher zu einem Trick: Sie sammelten Hagelkörner ein, die im Sommer 2009 bei einem Gewittersturm über der slowenischen Hauptstadt Ljubljana niedergingen. Diese kleinen Eisklumpen entstehen, wenn winzige Wolkentröpfchen hoch in der Sturmwolke zu gefrieren beginnen und dann auf ihrem Weg kreuz und quer durch die turbulenten Luftmassen immer wieder mit weiteren Wolkentröpfchen zusammenstoßen. Diese lagern sich an und im Laufe der Zeit wächst das Hagelkorn so immer weiter an. Die Annahme der Wissenschaftler war dabei: Wenn in den Wolkentröpfchen Leben existiert, dann müsste es im gefrorenen Wasser der Hagelkörner eingefangen und konserviert sein. Für ihre Studie analysierten antl Temkiv und ihre Kollegen daher sowohl die chemische Zusammensetzung als auch den Bakteriengehalt von insgesamt 43 Hagelkörnern.
In den chemischen Analysen erwies sich das Wasser der Hagelkörner als echter Nährstoff-Cocktail: “Wir haben fast 3.000 verschiedene Substanzen in den Tropfen identifiziert”, berichten die Forscher. Viele davon enthielten organischen Kohlenstoff und Stickstoff in Konzentrationen, wie sie auch in Seen, Flüssen und Meeren vorkommen. Sturmwolken seien damit durchaus nährstoffreiche Lebensräume, sagen antl Temkiv und ihre Kollegen.
Widerstandsfähige Keime
Und auch in punkto Bewohner erwies sich dieser Lebensraum als relativ reichhaltig: In den Hagelkörnern fanden sich zwischen 778 und 21.321 Zellen pro Milliliter Wasser. Das ist zwar deutlich weniger als in Gewässern oder aufgewirbeltem Staub, für einen eher kurzlebigen Lebensraum aber dennoch beachtlich, meinen die Forscher. Wie sie berichten, gehören die meisten Wolkenkeime zu Bakterienarten, wie sie typischerweise auch im Boden, auf Pflanzen oder auf den Oberflächen von Pflaster, Straßen und Hauswänden gefunden werden.
Um herauszufinden, ob die Wolkenbakterien auch lebendig und vermehrungsfähig waren, kultivierten die Forscher sie auf einem Nährmedium. Trotz des vorherigen Einfrierens und der turbulenten Reise zum Erdboden erwiesen sich gut zehn Prozent der Keime als aktiv und lebensfähig. “Das ist deutlich mehr als bei anderen, in der Atmosphäre gefundenen Bakterien und deutet darauf hin, dass diese Keime sich an den Lebensraum Wolke angepasst haben”, berichten antl Temkiv und ihre Kollegen. Einige der entdeckten Bakterienarten schützten sich beispielsweise durch spezielle rötliche Pigmente vor den schädlichen UV-Strahlen in der Atmosphäre.
“Sturmwolken gehören zu den extremsten Lebensräumen der Erde – und auch in ihnen existiert mikrobielles Leben”, schließen die Forscher. Die in den Wolkentröpfchen reichlich enthaltene Nahrung ermögliche es den Bakterien, selbst in dieser turbulenten Umgebung zu überleben und sich möglicherweise sogar zu vermehren. Diese Erkenntnis ist auch für die Klimaforschung wichtig. Denn die Bakterien in den Wolkentröpfchen beeinflussen auch die physikalischen Eigenschaften der Wolke: Sie dienen als Kristallisationskeime für die Eisbildung und können so auch dazu beitragen, dass sich schneller Regen, Schnee und Hagel aus solch einer Wolke lösen.