Derartigen Vermutungen widerspricht jedoch eine Tatsache, die die Saturnringe zu Ausnahmeobjekten machen: Sie bestehen zu 90 bis 95 Prozent aus gefrorenem Wasser. Andere Himmelskörper setzen sich in der Regel mindestens zur Hälfte aus Silikaten und Metallen zusammen – entsprechend müssten auch die Saturnringe und die ebenfalls extrem wasserreichen inneren Monde einen höheren Anteil dieser Materialien aufweisen. Die Hypothese von Robin Canup bietet für all diese Einwände eine Erklärung: Sie geht von einem Saturnbegleiter von der Größe des Saturnmondes Titan aus, der im Kern aus Silikaten und Eisen bestand, rundherum jedoch einen leichteren Mantel aus Eis trug. Beim Überschreiten der Roche-Grenze hätten die Gezeitenkräfte derartig an dieser Eisschicht gerüttelt und gezerrt, dass sie nach und nach abgerieben wurde und sich die Eisbrocken ringförmig um den Saturn verteilten. Der schwere Kern wurde hingegen weiter vom Planeten angezogen und stürzte schließlich in ihn hinein.
Die Eisringe hätten zwar dem Modell zufolge zunächst gut tausendmal mehr Masse besessen als heute. Doch nach Canups These dehnten sie sich anschließend aus und verloren an den Randbereichen Material. Diese Entwicklung wurde möglicherweise von Meteoritenkollisionen im Bereich der Ringe noch zusätzlich unterstützt: Durch sie könnte gleichzeitig Material aus den Ringen herausgeschleudert worden sein, während sich Silikate und Metalle in die Ringe mischten. Aus dem von den Ringen abdriftenden Material hätten sich schließlich die inneren Monde wie Tethys bilden können. Belege für Canups Annahmen liefert möglicherweise schon bald die Raumsonde Cassini: Sie soll nämlich gegen Ende ihrer Mission die derzeitige Masse und den “Verschmutzungsgrad” der Saturnringe ermitteln, bevor sie im Jahr 2017 in der Saturnatmosphäre verglühen wird. Passen die Messergebnisse zu der von Canup berechneten Masse, wäre dies eine wertvolle Stütze der Hypothese. Das Modell könnte zudem auch die Entstehung von Mond- und Ringsystemen anderer großer Planeten verstehen helfen.