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Künstliche Nacktschnecken

Erde|Umwelt

Künstliche Nacktschnecken
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Marisa-Schnecke mit Haus. Foto: Silke Grünewald, Universität Tübingen
Bereits eine kleine Menge Platin kann bei Schneckenkindern entscheidende Weichen stellen: Kommen sie während einer bestimmten Phase ihrer Entwicklung mit Platin-Ionen in Kontakt, bilden sie später nicht wie üblich ein gedrehtes Schneckenhaus außerhalb ihres Körpers. Stattdessen wächst ein kleiner Hohlkegel ins Körperinnere der Tiere hinein, der ebenfalls mit einer kalkigen Schale ausgekleidet ist. Das haben Tübinger Forscher jetzt am Beispiel einer Süßwasserschnecke namens Marisa cornuarietis gezeigt. Die Entdeckung, die das Team um Heinz Köhler eher zufällig gemacht hat, wirft ein neues Licht auf die Evolution von Schnecken und insbesondere auf die Entwicklung von Nacktschnecken: Da diese ebenfalls verkleinerte innere Schalen ausbilden, hat möglicherweise auch in der Natur ein kleiner Anstoß gereicht, um sie aus haustragenden Vorfahren entstehen zu lassen.

Eigentlich hatten die Wissenschaftler der Universität Tübingen mit Hilfe von Schneckeneiern die Giftwirkung verschiedener Metall-Ionen untersucht. Als sie dabei das vor allem in Autokatalysatoren verwendete Platin einsetzten, erlebten sie eine Überraschung: Bei bestimmten Konzentrationen zweiwertiger Plation-Ionen bildeten die in den Eiern heranwachsenden Schnecken kein Gehäuse aus. Stattdessen wurde offenbar die Wachstumsrichtung des schalenbildenden Gewebes umprogrammiert: Während es normalerweise den Eingeweidesack der Tiere überwächst, stülpte es sich bei Anwesenheit von Platin in den Körper ein und bildete so einen kleinen Hohlkegel, der ins Körperinnere wuchs. Dadurch veränderte sich auch die Lage anderer Organe im Schneckenkörper, beispielsweise die der Kiemen.

Diese Umprogrammierung ist zwar nur während einem oder zwei Tagen der Embryonalentwicklung der Schnecken möglich. Hat sie aber einmal eingesetzt, ist sie unumkehrbar: Die Tiere entwickeln sich entsprechend ihres neuen Programms weiter und können mehr als ein halbes Jahr überleben. Während dieser Zeit bildet sich im Inneren des Hohlkegels ebenfalls eine kalkige Schale, die nach dem Tod der Tiere übrigbleibt.

Interessanterweise liegt dem Platin-Effekt keine genetische Veränderung zugrunde, entdeckten die Wissenschaftler. Stattdessen scheint das Edelmetall die Aktivität verschiedener Schlüsselgene zu verändern und damit den Körperumbau auszulösen. Vermutlich sei ein ähnlicher Effekt auch während der Schneckenevolution eingetreten und habe zum Entstehen der Nacktschnecken geführt, spekulieren die Wissenschaftler. Sie wollen daher jetzt untersuchen, welche Gene genau an- oder abgeschaltet werden und welche Konsequenzen das jeweils für die Schnecke hat.

Dass es künftig durch Katalysator-Reste in der Umwelt zu einer Invasion der künstlichen Nacktschnecken kommt, ist übrigens eher nicht zu befürchten: Die nötige Platinkonzentration wird in der Natur zumindest bisher gar nicht erreicht.

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Presseinformation der Universität Tübingen Heinz Köhler (Universität Tübingen) et al.: Evolution and Developement, Bd. 12, S. 474-483 dapd/wissenschaft.de ? Ilka Lehnen-Beyel
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