Mit dem Abschmelzen von jahrhundertealtem Schnee als Folge der Klimaerwärmung kommen mancherorts archäologische Schätze zum Vorschein: In den kanadischen Mackenzie Mountains haben Forscher bis zu 2.400 Jahre alte Waffen früherer Ureinwohner entdeckt. Wie die kanadischen Wissenschaftler vermuten, folgten die Jäger im Sommer den Karibuherden in die kühlen Berge, wo die Rentiere Schutz vor Mückenschwärmen und Hitze suchten. In den abschmelzenden Schneeflächen wurde neben den Waffen auch Karibudung konserviert, wodurch die Wissenschaftler nun auch frühere Pflanzengesellschaften und Parasiten in den Mackenzie Mountains studieren können, berichten Tom Andrews vom Prince of Wales Northern Heritage Centre in Yellowknife und seine Kollegen in einer Pressemitteilung des Arctic Institute of North America.
Der Ausgangspunkt für die Funde in den Mackenzie Mountains war eine Entdeckung im Yukon-Gebiet: Dort fanden Jäger 1997 einen 4.300 Jahre alten Pfeilschaft im schmelzenden Firnschnee. Daraufhin hatte Andrews die Idee, dass solche Artefakte auch im Gebiet der Mackenzie Mountains gefunden werden könnten. Auch in dieser Region schmolzen nämlich mit den steigenden Temperaturen Schneeflecken ab, die zuvor auch den Sommer stets überdauert hatten. Der Archäologe charterte einen Helikopter, um einige bekannte Firnflecken genauer zu untersuchen. Und siehe da: Die Wissenschaftler fanden neben einer 2.400 Jahre alten Speerschleuder auch tausendjährige Fangschlingen sowie Bögen und Pfeile, die vor 850 Jahren verwendet wurden.
Die Jagdtechniken und die handwerklichen Fähigkeiten der früheren kanadischen Jäger beeindruckten Andrew und seine Kollegen: “Wir fanden hölzerne Pfeile ? so fein gearbeitet, dass man sich kaum vorstellen kann, wie die Ureinwohner diese Waffen mit Hilfe von Steinwerkzeugen herstellten.” Die Forscher entdeckten auch jahrhundertealte Schichten aus Karibudung. Generationen dieser Huftiere hatten sie auf den Schneeflecken in den Bergen hinterlassen, wohin sie sich im Sommer zurückzogen, vermutlich um den Mücken und der Hitze zu entfliehen. Die Jäger folgten den Karibus ? einer wichtigen Nahrungsquelle ? in die Höhe, wo ihre Waffen dann durch Schneeablagerungen konserviert wurden und erst mit den heutigen wärmeren Temperaturen wieder zum Vorschein kamen.
Möglicherweise hat der Schnee an anderen Stellen weitere Relikte der Jägerstämme freigegeben. Diese müssten dann möglichst schnell gefunden werden, da sie außerhalb des schützenden Schnees schnell zerstört werden. Neben den Waffen analysierten die Forscher auch den Karibudung, der vom Schnee freigegeben wurde. Aus der Zusammensetzung von pflanzlichen Überresten, Pollen und Parasiten erhoffen sie sich Informationen über die frühere Ökologie in den Mackenzie Mountains. Trotz der wertvollen neuen Erkenntnisse über die Natur und Kultur in früheren Zeiten bereitet die klimabedingte Schneeschmelze Andrews Sorgen: “Was geschieht mit den Karibus, wenn die Schneeflecken verschwinden und diese Huftiere im Sommer keine Rückzugsmöglichkeiten mehr finden?”
Pressemitteilung des Arctic Institute of North America ddp/wissenschaft.de ? Thomas Neuenschwander