Durch eine trickreiche Veränderung ihrer inneren Struktur filtern bestimmte Spinnennetze Wasser aus der Luft: Wenn die Seidenfäden feucht werden, entstehen plötzlich spindelförmige Knoten, an denen winzige Wassertröpfchen kondensieren. Das haben chinesische Forscher entdeckt, als sie die Fangseide der Echten Webspinne Uloborus walckenaerius unter dem Elektronenmikroskop untersuchten. Mit dem Wissen um den Aufbau dieser Fasern haben sie die Seidenstruktur künstlich nachgebaut: In Zukunft könnten synthetische Spinnennetze aus der Luft Wasser oder gesundheitsschädliche winzige flüssige Schwebeteilchen herausfiltern.
Spinnfäden besitzen nicht nur hervorragende mechanische Eigenschaften, sondern reagieren auch auf Umwelteinflüsse. So produzieren Spinnen mit einem kammartigen Körperteil, dem sogenannten Cribellum, eine wasserempfindliche Seide: Die Spinnen zerlegen mit dem Cribellum ihren Spinnfaden in hochfeine Fasern, die dann feuchter Luft Wasser entziehen. Bei diesem Vorgang ändert sich die Struktur der Fasern. Trockene Spinnseide besteht aus zwei parallel angeordneten Fasern mit regelmäßigen halbdurchsichtigen Wulsten, sie ähneln quasi einer Kette mit aufgereihten Perlen. Wird ein Seidenfaden nun in Wasserdampf gehalten, kondensieren Wassertröpfchen an den Verdickungen. Ausgelöst durch die Feuchtigkeit schrumpfen die Wulste plötzlich zu intransparenten Buckeln und verwandeln sich schließlich in langgestreckte spindelförmige Knoten.
Um die Eigenschaften der Spinnweben zu untersuchen, spannten die Wissenschaftler um Lei Jiang von der Chinese Academy of Science in Beijing die Fäden in einen U-förmigen Halter ein. Diese setzten sie dann einer Luftfeuchtigkeit von 95 Prozent aus. Unter dem hoch auflösenden Elektronenmikroskop konnten sie den Prozess offenlegen, bei dem sich die Struktur der Fasern unter dem Einfluss des Wasserdampfs veränderte und sich Wasser anlagerte. An den spindelförmigen Knoten und den dünnen Nahtstellen dazwischen sammelten sich Wassertröpfchen. Wurden sie nun grösser, so begannen sie zu fließen. Dabei bewegten sich die Tröpfchen an den Nahtstellen zu den größeren Wasserperlen an den Knoten und beschleunigten deren Wachstum.
Das Prinzip dieser natürlichen Vorrichtung zur Wasserakkumulation wollen die Forscher auch zu industriellen Zwecken nutzen: Sie bauten deshalb die Spinnseide nach, indem sie entlang eines Nylonfadens die spindelförmigen Knoten imitierten. Auf diese Weise sollen in Fabrikationsprozessen zukünftig flüssige Aerosole aus der Luft gefiltert oder in Trockengebieten Wasser gesammelt werden.
Lei Jiang (Chinese Academy of Science, Beijing) et al.: Nature, doi: 10.1038/nature08729 ddp/wissenschaft.de ? Regula Brassel