Arteriosklerose und ihre Folgen ? Schlaganfälle und Herzinfarkte ? sind offenbar tatsächlich vor allem auf den modernen Lebensstil zurückzuführen: Sie kommen bei ursprünglich lebenden Völkern wie den Tsimane aus Bolivien praktisch nicht vor, haben US-Forscher jetzt gezeigt. Interessanterweise treten jedoch bei vielen Angehörigen dieses Volkes chronische Entzündungen mit deutlich erhöhten Entzündungswerten im Blut auf ? Effekte, die als starke Risikofaktoren für die Verhärtung und Verengung der Blutgefäße bei Arteriosklerose gelten. Auf Basis dieser Ergebnisse sollten daher sowohl der Zusammenhang zwischen Entzündungen und Arteriosklerose als auch die Eignung der Entzündungswerte als Marker für die Erkrankung geprüft werden.
Seit 2002 beobachten Michael Gurven und sein Team den Gesundheitszustand der Tsimane, einer Volksgruppe mit etwa 8.000 Mitgliedern, die in den Regenwäldern und Savannen Boliviens lebt. Der Lebensstil der Tsimane ist sehr aktiv, er basiert auf dem Jagen und dem Anbauen von Nutzpflanzen in kleinem Maßstab, häufig sogar nur für den persönlichen Gebrauch. Übergewicht ? weniger als zwei Prozent der Tsimane sind zu dick ? und Bluthochdruck sind extrem selten. Diabetes trat während der Beobachtungsphase überhaupt nicht auf. Allerdings leiden viele Angehörigen des Volkes ? auch wegen des sehr begrenzten Zugangs zu medizinischer Versorgung ? unter Infektionskrankheiten: Gurven schätzt, das bis zu drei Viertel der untersuchten Tsimane von Parasiten befallen sind. Zudem ist etwa die Hälfte der beobachteten Todesfälle auf Infektionen und Parasiten zurückzuführen.
Vor allem in Folge dieser hohen Rate an Infektionskrankheiten ist auch die Anzahl derjenigen hoch, die unter chronischen Entzündungen leiden. Zudem weist das Blut der Tsimane extrem hohe Konzentrationen des sogenannten C-reaktiven Proteins (CRP) auf, eines Eiweißmoleküls, das der Körper bei Entzündungen produziert. Beides ? chronischen Entzündungen und hohe CRP-Werte ? gelten als Risikofaktoren für Arteriosklerose, Herzinfarkte und Schlaganfälle. Trotzdem kommen diese Krankheiten bei den Tsimane kaum vor, und es gibt keinen messbaren Zusammenhang zwischen besonders hohen Entzündungswerten und dem Auftreten von Gefäßerkrankungen.
Entzündungen alleine sind demnach möglicherweise gar nicht so schädlich für die Gefäße wie angenommen, folgern die Forscher. Zudem deuteten die Daten darauf hin, dass Arteriosklerose und ihre Folgen in vorindustriellen Gesellschaften wohl eher selten waren. Allerdings könnte der Effekt auch auf den speziellen Lebensstil der Tsimane, eine besondere genetische Veranlagung oder den Einfluss der Parasiten zurückzuführen sein. Trotzdem folgert Studienleiter Gurven: „Wir sind vielleicht gar nicht für die Welt gemacht, in der wir leben. Die Tsimane sind möglicherweise das bessere Modell für die Welt, für die wir tatsächlich gebaut sind“.
Michael Gurven (University of California in Santa Barbara) et al.: PLoS One>, Bd. 4, Nr. 8 ddp/wissenschaft.de ? Ilka Lehnen-Beyel