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Lok ohne Führer

Allgemein

Lok ohne Führer
Die Gewerkschaften haben ein neues Problem: Bald übernimmt Kollege Computer den Platz im Führerstand der Lokomotiven. Wichtigster Vorteil des digitalen Lokführers: Er ist ständig in Bereitschaft und flexibel einsetzbar.

Zugreisende in Sachsen müssen sich bald mit einem ungewohnten Anblick vertraut machen: Züge, in deren Triebwagen niemand hinter dem Steuer sitzt. Denn die Deutsche Bahn entwickelt einen automatisierten, führerlosen S-Bahnbetrieb. Die Bahnen zwischen Dresden und Pirna sollen nicht nur nach Fahrplan, sondern auch nach Bedarf eingesetzt werden. Über eine Kamera registriert ein Zentralrechner die Zahl der Fahrgäste auf dem Bahnsteig. Reichen die fahrplanmäßig eingesetzten S-Bahnen nicht aus, fordert der Computer aus dem Depot einen zusätzlichen Zug an. Das alles sind Visionen aus dem Projekt „intermobil Region Dresden“, gefördert vom Bundesministerium für Forschung und Bildung.

Ein Zug ohne Führer? „Das ist ein psychologisches Problem“, gibt Christine Geißler-Schild, Sprecherin der Deutschen Bahn für den Bereich Technik, zu. Um die Akzeptanz bei den Bahnkunden zu erhöhen, strebe man ein höheres Sicherheitsniveau an, als es heute in den Fahrzeugen mit Führerstand und Personal gelte.

„Ein führerloser Zug, in dem keiner vorne sitzt, ist weit weniger akzeptiert als ein Zug mit einem Lokführer, auch wenn der Zug automatisch geführt wird, wie es heute etwa schon bei den Hochgeschwindigkeitszügen der Fall ist“, sagt Geißler-Schild. Psychologen sollen der Bahn im Rahmen des Dresdener Pilotprojektes helfen, die Bedürfnisse der Kunden zu ermitteln. Für Geißler-Schild steht jedoch fest, dass die Bahn ihre Kunden in den automatischen Zügen nicht allein lassen wird: „Wir wollen keinen führerlosen Zug, sondern wir wollen den Lokführer im Zug mit anderen Aufgaben betrauen.“

Dabei ist es nichts Neues, Züge flexibel und ohne Zugführer einzusetzen. Durch die japanische Stadt Kobe fährt seit 1981 eine führerlose Stadtbahn. In der kanadischen Pazifik-Metropole Vancouver verkehrt eine automatische Hochbahn seit 1986. In der Pariser Metro kann die Leitzentrale seit 1998 den führerlosen „ Méteor“ nach Bedarf buchstäblich auf Knopfdruck einsetzen. Ein Zentralcomputer sorgt dafür, dass der Zug sich reibungslos in den fahrplanmäßigen Verkehr einordnet. Auf dem Frankfurter Flughafen transportiert eine futuristisch anmutende Bahn führerlos Flugpassa-giere zwischen den Terminals.

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Alle diese Strecken sind jedoch in sich abgeschlossene Systeme – die Züge fahren auf Hochbahntrassen, in Tunneln oder über den Dächern der Flughafengebäude. Die Trassen der Deutschen Bahn hingegen sind frei zugänglich: Hindernisse können auf den Schienen liegen, Menschen die Gleise überqueren, Fahrzeuge auf Bahnübergängen stehen bleiben. Ein Zug, der ohne Fahrer unterwegs ist, muss auf Hindernisse auf freier Strecke reagieren können. Besonders sensibel sind jene Stellen, an denen sich Züge und Menschen nahe kommen, etwa Bahnübergänge. Und es stellt sich die Frage: Kann der führerlose Zug rechtzeitig reagieren, wenn sich ein Selbstmörder auf den Gleisen befindet?

„Der prüfende Blick des Lokführers auf die vor ihm liegende Strecke muss beim automatischen Fahrbetrieb durch technische Lösungen ersetzt werden“, erklärt Johann Polz, Projektleiter Automatisches Fahren am Forschungs- und Technologie-Zentrum (FTZ) der Deutschen Bahn in München. Für diese technischen Lösungen ist unter anderem das Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme in Dresden zuständig. „Wir arbeiten an zwei Systemen: einer Hinderniserkennung für Schienenfahrzeuge und einer videobasierten Bahn-steigsicherung“, sagt Dr. Wolfgang Oertel, Leiter der Forschungs- und Entwicklungsgruppe für Fahrzeug- und Betriebsführungssysteme am Dresdener Fraunhofer-Institut.

Am Triebwagen ist eine Kamera angebracht, die die Strecke vor dem Zug im Auge behält. „Wir gehen im Moment von einem System aus, das mit Videokameras arbeitet. Sollten bei diesem System aber Schwachstellen sichtbar werden oder zusätzliche Sicherheitsanforderungen auftreten, werden wir es durch Sensoren ergänzen – zum Beispiel durch Infrarot-Kameras, die auch bei Nacht etwas erkennen“, sagt Oertel. Die Kamera schickt die Bilder an einen Computer, der sie auswertet.

Der Rechner muss aus 300 Meter Entfernung ein Hindernis von der Größe eines kleinen Kindes (Höhe 1 Meter, Breite 40 Zentimeter, Tiefe 50 Zentimeter) erkennen. Nimmt er auf dem Gleis einen solchen Körper wahr, hupt der Zug und verlangsamt das Tempo. Die Reaktion erfolgt in einer halben Sekunde. Dann, versichert der Bahn-Experte Polz, habe ein Mensch noch genug Zeit, den Gefahrenbereich zu verlassen.

Und was ist, wenn sich der Computer auf offener Strecke „ aufhängt“? „Das gesamte Sicherungssystem ist so eingestellt, dass ein Zug stehen bleibt, wenn ein Defekt auftritt, eine Steuerungsanlage oder das Leit- und Sicherungssystem ausfällt. Es kann also nicht passieren, dass sich ein Zug selbstständig macht“ , antwortet die Bahn-Sprecherin Geißler-Schild. Der Zug wird in einem solchen Fall von der Fahrzeugleitstelle ferngesteuert in den nächsten Bahnhof gefahren. Der so genannte „zentralisierte Triebfahrzeugführer in der Leitstelle“ erhält die Streckeninformationen über die im Zug angebrachten Videokameras. Außerdem können sich die Insassen per Funk vom Zug aus mit der Leitstelle unterhalten.

Allerdings reichen die Sicherungssysteme im Zug allein nicht aus für einen automatischen Fahrbetrieb. Die größte Gefahrenquelle ist der Bahnsteig. Auch dort wird in Zukunft statt eines Aufsehers ein vernetztes System aus Computern und Kameras für Sicherheit sorgen: Mehrere Kameras überwachen den Bahnsteig und übermitteln die Bilder an einen Rechner. Dazu wird der Bahnsteig in drei Bereiche unterteilt: das Gleis, die Bahnsteigkante und den Aufenthaltsbereich für die Reisenden. „Der Computer vergleicht die aktuellen Bilder mit dem Hintergrundbild des leeren Bahnsteigs und erkennt Bewegungen oder Änderungen in der Textur der Videoaufnahmen“, erklärt Fraunhofer-Mitarbeiter Oertel.

Hält sich ein Mensch im Gefahrenbereich der Bahnsteigkante auf, wird er per Lautsprecher darauf aufmerksam gemacht, dass er zurücktreten soll. Erkennt der Computer ein Objekt auf der Schiene, stoppt er den Zug.

Die erste Demonstrationsanlage zur Bahnsteigüberwachung wurde zu Beginn des Jahres am Haltepunkt Dresden-Strehlen installiert und läuft seit Anfang April im Dauerbetrieb. Doch erst 2003 soll der Probebetrieb mit automatischen Zügen aufgenommen werden.

Züge ohne Führer, leere Bahnsteige ohne Personal – der Interessenverband der Bahnkunden „Pro-Bahn“, sieht der neuen Welt des Bahnbetriebes skeptisch entgegen. „Wir halten nichts von einem führerlosen Betrieb, wenn der Fahrgast auf sich selbst angewiesen ist. Es gibt ein Bedürfnis nach Service und Sicherheit – das sollte berücksichtigt werden“, sagt Pro-Bahn-Sprecher Dr. Hartmut Buyken. „Wir sind der Auffassung, dass die Bahn ein Dienstleistungsunternehmen ist, und da ist der Service ein wichtiger Aspekt.“

Das betont auch Bahnsprecherin Geißler-Schild: „Wir werden einen modernen und zeitgemäßen Service anbieten, wie ihn der Kunde unserer Meinung nach wünscht. So werden wir uns beispielsweise an die gestiegene Akzeptanz des Bezahlens mit Scheckkarte am Automaten anpassen. Es wird aber trotzdem immer einen Schalter geben, hinter dem ein Mensch sitzt und Fahrkarten verkauft.“

Auch die Sicherheit der Passagiere soll gewährleistet werden – durch Begleitpersonal in den Zügen, aber auch durch Kommunikationssysteme wie Videoanlagen, über die Reisende mit der Zentrale Kontakt aufnehmen können. „Es ist unsere Aufgabe, Kunden den Zugang zu automatischen Systemen zu erleichtern“, sagt Geißler-Schild.

Da ist das Projekt „intermobil Region Dresden“ nur ein erster Schritt: In 30 Jahren, prophezeit die Bahn-Sprecherin, holt die Bahn ihre Kunden persönlich ab – allerdings nur jene, die auf dem Land an Nebenstrecken mit wenig Verkehr wohnen. „Ein Fahrgast bestellt für sich je nach Bedarf eine kleine Zugeinheit. Diese findet selbst ihren Weg über ein automatisches Schienenverkehrsnetz und liefert den Fahrgast an seinem Fahrtziel oder an einer größeren Umsteigestation ab“, so die Vision von Geißler-Schild.

Computeraugen helfen Leben rettenbr>Bei der Bahn sind computergestützte Lebensrettungssysteme noch in der Entwicklung. Anderswo helfen sie schon bei Gefahr. So rettete das Überwachungssystem „Electronic Lifeguard“ im letzten Herbst einem 18-Jährigen in einem Schwimmbad im westfranzösischen Ancenis das Leben. Das System überwacht das Schwimmbecken mit Kameras, die über und unter Wasser angebracht sind. Es wurde entwickelt von Poseidon Technologies in Boulogne (siehe bild der wissenschaft 6/2001, „kurz & bündig“). Eine Bildbearbeitungssoftware wertet die Kamerabilder schnell aus und schlägt notfalls Alarm. Bisher wacht der digitale Bademeister über acht Schwimmbäder in Frankreich, den Niederlanden, Kanada und Großbritannien.Der schwedische Automobilhersteller Volvo, bekannt für seine Sicherheitstechnologie, entwickelt zurzeit zusammen mit dem australischen Unternehmen Seeing Machines ein Überwachungssystem für Autofahrer. Das System „faceLAB“ beobachtet mit zwei Kameras den Fahrer vom Armaturenbrett aus: Wohin richtet er seinen Blick? Welche Haltung hat sein Kopf? Wie oft blinzelt er? 60mal pro Sekunde bestimmt ein Computer aus diesen Daten die aktuelle Kopfhaltung und Blickrichtung und errechnet daraus die Aufmerksamkeit des Fahrers: Schaut er auf die Straße, oder ist er abgelenkt? Blinzelt er häufig, oder sinkt ihm das Kinn auf die Brust, weil er womöglich gerade einschläft? In diesem Fall warnt faceLAB ihn durch ein akustisches Signal.Das elektronische Auge kann die Kopfposition auf einen Millimeter und die Blickrichtung auf drei Grad genau ermitteln. Selbst mit Brillengläsern und Sonnenbrillen kommt faceLAB mühelos zurecht. Durch präzises Anpeilen von charakteristischen Gesichtspartien wie Augenbrauen oder Mundwinkel kann das System sogar den Gesichtsausdruck des Fahrers herausfinden. Nach Angaben von Volvo ist der Einsatz dieses Systems in Fahrzeugen aber noch Zukunftsmusik.

Kompakt

• In Sachsen entwickelt die Deutsche Bahn einen führerlosen S-Bahn-Betrieb. • Das Erkennen von Hindernissen auf den Gleisen und am Bahnsteig sowie die Reaktion darauf stellen hohe technische Anforderungen. • Ab 2003 sollen die ersten Testzüge ohne Führer über die Schienen rollen.

bdw-Community

INTERNETProjekt „intermobil Region Dresden“: Künftige Strategien zur Sicherung der Mobilität in mittleren Ballungsräumen:www.intermobil-dresden.de

Infos über Projekte des Forschungs- und Technologiezentrums der Deutschen Bahn:www.db-ftz.de

Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme in Dresden:www.ivi.fraunhofer.de

Homepage von Pro Bahn, dem Interessenverband der Bahnkunden:www.probahn.de

Infos über „Electronic Lifeguard“ bei Poseidon Technologies:www.poseidon-tech.com

Infos über das Überwachungssystem für Autofahrer „faceLAB“ auf der Homepage von Seeing Machines:www.seeingmachines.com

Werner Pluta

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