„Ich habe auch wieder etwas verbrochen in der Gravitationstheorie, was mich ein wenig in Gefahr setzt, in einem Tollhaus interniert zu werden“, schrieb Albert Einstein am 4. Februar 1917 an seinen Freund und Physiker-Kollegen Paul Ehrenfest im holländischen Leiden.
Diese Idee, die er in einem bereits elf Tage später gedruckten Forschungsartikel ausführte, war nicht nur ein gedanklicher Schlüsselmoment im Jahrtausende währenden Versuch des Menschen, das Universum zu verstehen, sondern markiert auch den Beginn einer neuen Ära der Naturwissenschaft: Einsteins Artikel ist der Anfang der modernen relativistischen Kosmologie – also der Charakterisierung der Struktur und Dynamik des Weltganzen.
Grundlage für das Verständnis des Universums
Nimmt man das Publikationsdatum von Einsteins Artikel „Kosmologische Betrachtungen zur allgemeinen Relativitätstheorie“ in den Sitzungsberichten der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin – der 15. Februar 1917 –, dann wird die moderne Kosmologie jetzt 100 Jahre alt. Erst seit einem Jahrhundert haben Menschen also überhaupt eine realistische theoretische Grundlage, das Universum zu verstehen!
Bis zum gegenwärtigen Standardmodell des Urknalls und der Vorstellung eines sich beschleunigt ausdehnenden Weltraums war es allerdings noch ein weiter Weg. Ein expandierendes Urknall-Universum war damals nicht denkbar – obwohl Einstein im Prinzip schon auf diese Idee hätte kommen können, wenn er seiner eigenen Physik mehr vertraut hätte.
Doch sein zunächst äußerst spekulativ anmutender Ansatz bedeutete einen Meilenstein. Er begründete das Verständnis des Universums auf der Basis der Allgemeinen Relativitätstheorie. Ohne sie ist eine realistische Beschreibung der Welt überhaupt nicht möglich, wie sich bald zeigte – alle früheren Versuche, das Universum zu verstehen, waren mangels eines adäquaten Ansatzes zum Scheitern verurteilt.
Vollendung der Relativitätstheorie
Mehr noch: Erst damals, im Februar 1917, vervollständigte Einstein seine im November 1915 gefundenen Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie. Erst jetzt komplettierte er also seine Theorie. Darin hatte nämlich noch etwas Entscheidendes gefehlt – eine Naturkonstante: die Kosmologische Konstante. (Deren Einführung hat Einstein zwar später bereut. Aus heutiger Sicht ist diese Konstante jedoch ein notwendiges Ingredienz der Theorie sowie die beste und einfachste Erklärung, warum sich der Weltraum immer schneller ausdehnt.) Tatsächlich zeigte sich bald, dass diese Konstante notwendig in den Gleichungen auftaucht (als eine Integrationskonstante). Es ist also eine Frage der Beobachtung, welchen Wert sie hat.
Einstein brauchte die Konstante, um eine „stabile“ Beschreibung des Universums leisten zu können. Und er machte dazu noch eine extreme Vereinfachung: Wenn es „nur auf die Struktur im Großen ankommt, dürfen wir uns die Materie als über ungeheure Räume gleichmäßig ausgebreitet vorstellen“, schrieb er. Er nahm also an, dass sich, gemittelt über riesige Distanzen, die Dichteunterschiede ausgleichen und die Materie auf diesen Skalen näherungsweise homogen verteilt ist. Er verglich das mit der Beschreibung der Erdgestalt als Ellipsoid, wenn man von allen Unebenheiten der Erdoberfläche absieht.
Einsteins Annahme wurde später als Kosmologisches Prinzip bezeichnet. Es hat sich über Entfernungen von einigen Hundert Millionen Lichtjahren hinweg glänzend bewährt. (Die Kosmische Hintergrundstrahlung, die den ganzen Weltraum ausfüllt, zeigt sogar bloß winzige Unterschiede in der Größenordnung 1 zu 100.000.) Dass das Kosmologische Prinzip so gut passt, ist gleichsam ein Geschenk der Natur, weil es die Beschreibung des Alls durch eine Symmetriebedingung extrem vereinfacht – Einsteins zehn gekoppelte Gleichungen reduzieren sich dann auf zwei.
Ein geschlossenes Universum
Mit der Kosmologischen Konstante und dem Kosmologischen Prinzip entdeckte Einstein eine überraschende Lösung seiner Gleichungen: „ein in sich geschlossenes“ Universum mit „endlichem, räumlichem (dreidimensionalem) Volumen“, wie er schrieb, „einen sphärischen Raum vom Krümmungsradius R“.
Diese Hypothese war äußerst raffiniert. Sie lieferte auch eine neue Idee im alten Streit über die Endlichkeit versus Unendlichkeit der Welt. Denn Einsteins kurioses Weltmodell war räumlich endlich, aber doch grenzenlos – es hatte keinen mysteriösen oder sogar denkunmöglichen Rand. Vielmehr war es in sich geschlossen und zurücklaufend analog zu einer Kugelfläche. Tatsächlich würde man wieder an seinen Ausgangspunkt zurückkehren, wenn man mit einer Rakete immer weiter geradeaus flöge. Im Prinzip könnte man sogar rund um die Welt blicken, weil Lichtstrahlen darin kreisen.
Mehr zu diesem Weltmodell, zu Einsteins Begründung und zu den kosmologischen Konsequenzen steht im ausführlichen achtseitigen Artikel „100 Jahre moderne Kosmologie“, der am 21. Februar in der März-Ausgabe von bild der wissenschaft erscheint.
© wissenschaft.de – Rüdiger Vaas ist Astronomie- und Physik-Redakteur bei bdw. Zu Einstein und der Relativitätstheorie hat er mehrere Büchern publiziert, zuletzt Jenseits von Einsteins Universum