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Galaktischer Hausputz

Astronomie|Physik

Galaktischer Hausputz
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Im All stürmt es gewaltig: Mit über 1.000 Kilometer pro Sekunde ? 10.000 Mal schneller als ein irdischer Hurrikan ? werden Sturmwolken aus molekularem Gas aus Galaxien herausgejagt. Damit verlieren die Sternensysteme ihren wertvollen Rohstoff für die Sternbildung. Außerdem versiegt der Nachschub, der die zentralen Schwarzen Löcher füttert. Innerhalb weniger Millionen Jahre können Galaxien so inaktiv werden.

In den letzten Jahren hat sich die Vorstellung stark gewandelt, die sich Astronomen von Galaxien machen: Es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass die majestätischen Weltinseln nicht, wie bisher angenommen, einfach geruhsam vor sich hin rotieren, sondern dass häufig eine turbulente Dynamik vorherrscht. Sie wird oft durch die ?kreative Macht? des supermassereichen Schwarzen Lochs gesteuert, das wie ein dunkles Herz im Zentrum fast jeder Galaxie sitzt (sehr ausführlich berichtet darüber die Titelgeschichte ?Die Macht der Schwarzen Löcher? von bild der wissenschaft 3/2011).

Nun hat das Infrarot-Weltraumteleskops Herschel der Europäischen Raumfahrtagentur ESA diese brachialen Prozesse genau ins Visier genommen. Herschel war am 14. Mai 2009 mit einer Trägerrakete vom Typ Ariane 5 vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana ins All geschossen worden. Rund 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt beobachtet es die Wärmestrahlung aus der Milchstraße und dem intergalaktischen Raum (ausführlich dazu der Artikel ?In neuem Licht: Geburt und Tod der Sterne? in bild der wissenschaft 10/2008). Jetzt hat Herschel erstmals genau gemessen, wie heftige Stürme aus molekularem Wasserstoff aus dem Inneren von Galaxien herausgeschossen werden. Da Sterne aus solchem Gas entstehen, bedeuten die Sturmwolken, dass dort die Sternbildung weitgehend unterbrochen wird oder ganz zum Erliegen kommt.

?Mit Herschel können wir jetzt erforschen, was dies für die Evolution von Galaxien bedeutet?, sagt Eckhard Sturm vom Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik ( MPE) in Garching bei München, der die Studie leitet. Die Astronomen hatten 50 ausgewählte Galaxien inspiziert. Die Daten von sechs davon haben Sturm und seine Kollegen inzwischen analysiert. Diese Galaxien heißen Mrk 231, NGC 253 sowie (nach den Himmelskoordinaten und dem Infrarotsatelliten IRAS benannt) IRAS 08572+3915, IRAS 13120-5453, IRAS 14378-3651, IRAS 17208-0014.

Die Messdaten stammen von PACS, einem der drei Instrumente an Bord von Herschel. PACS (Photodetector Array Camera and Spectrometer) ist ein abbildendes Photometer und Spektrometer für den Bereich von 57 bis 210 Mikrometern; es wurde unter Leitung des MPE entwickelt und vom Deutschen Zentrum für Luft-und Raumfahrt (DLR) gefördert. PACS hat die Gasströmungen anhand der darin enthaltenen Hydroxyl-Moleküle (OH) gemessen, überwiegend in Fernen Infrarot bei 79 Mikrometern.

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Die Galaxien mit den heftigsten Stürmen, sogenannte Aktive Galaxien und Starburst-Galaxien, verlieren die rund 1.200-fache Sonnenmasse an Gas jedes Jahr, schließen die Astronomen aus Herschels Daten. Die aktivsten Galaxien haben auch die stärksten Winde: Sie reichen aus, um innerhalb weniger Millionen bis 100 Millionen Jahre den Großteil des molekularen Gases aus einer Galaxie herauszublasen und damit die Sternbildung komplett zu stoppen. Das ist kosmisch gesehen eine sehr kurze Zeit.

Galaxienwinde haben verschiedene Ursachen. Zum Teil sind Stoßwellen von Sternexplosionen dafür verantwortlich. Wichtiger jedoch sind Teilchenströme von jungen Sternen und der intensive Druck ihrer Strahlung. Galaxien mit heftiger Sternbildung, die Starburst-Galaxien, verlieren jährlich bis zu einigen Hundert Sonnenmassen an Gas. Diese Menge entspricht ungefähr der Sternentstehungsrate.

Außerdem haben auch die supermassereichen zentralen Schwarzen Löcher großen Einfluss ? und zwar über Tausende von Lichtjahren hinweg, obwohl sie selbst kleiner sind als unser Sonnensystem. Doch wenn Schwarze Löcher sich Materie einverleiben, werden in ihrer Umgebung gewaltige Energien entfesselt. Das baut einen hohen Strahlungsdruck auf, der Gas weit hinaus in die umliegenden Regionen bläst. Zudem entstehen ? durch ultrastarke Magnetfelder beschleunigt und gebündelt ? hochenergetische Teilchenströme (Jets), die sich mitunter Hunderttausende von Lichtjahren weit durch das galaktische und intergalaktische Medium pflügen und Energie übertragen. Die stärksten galaktischen Winde stammen aus der Umgebung fressgieriger Schwarzer Löcher in den hellsten Aktiven Galaktischen Kernen, wie Astronomen die Zentren solcher Galaxien nennen. Über 1.000 Sonnenmassen pro Jahr können so mit Geschwindigkeiten von mehr als 1.000 Kilometer pro Sekunde durchs All fegen.

Neben den Kollisionen von Galaxien scheinen die galaktischen Winde auch die Bildung von Elliptischen Galaxien zu forcieren. Denn dieser Galaxientyp ist weitgehend frei von Gas und Sternentstehungsprozessen. Bei der gravitativen Wechselwirkung von Galaxien, besonders bei galaktischen Verschmelzungen, stoßen die Gaswolken in Galaxien zusammen. Das führt einerseits zu einer vehementen Sternbildung, andererseits zu heftigen Nahrungsschüben für supermassereiche Schwarze Löcher. Beides kann die galaktischen Stürme auslösen, wirkt also als ?negative Rückkopplung?.

?Weil Herschel die Molekülwolken-Stürme direkt vermessen kann, fanden wir endlich gute Hinweise auf das negative Feedback, nachdem Astronomen lange gesucht haben, und dessen drastische Folgen für die Galaxienentwicklung?, freut sich Göran Pilbratt, Herschels Projektwissenschaftler.

Sturm, E. et al. (2011): Massive molecular outflows and negative feedback in ULIRGs observed by Herschel-PACS. Astrophysical Journal Letters 733, L16. wissenschaft.de – ===Rüdiger Vaas
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