Erdbeben gehören bis heute zu den Naturkatastrophen, die sich kaum vorhersagen lassen. Klar scheint nur, dass die langsame Verschiebung der Erdplatten entlang von Verwerfungen im Laufe der Zeit zunehmende Spannungen im Untergrund erzeugen. Wird dann ein bestimmter Schwellenwert überschritten, bricht das Gestein und die Platten rucken abrupt in eine neue Position – ein Erdbeben ist die Folge. Rein theoretisch würde dies bedeuten, dass Verwerfungen nach einem starken Beben immer erst eine gewisse Zeit benötigen, um erneut so viel Spannung aufzubauen, dass ein Erdbeben droht. Wenn man daher die Abstände historischer Beben analysiert, könnte sich eine für diese Stelle typische zeitliche Abfolge ergeben – so die Theorie. Doch in der Praxis gibt es dabei Schwierigkeiten: Meist reichen seismologische Daten oder historische Dokumente nicht weit genug zurück, um zeitliche Muster erkennen zu können. „Es ist daher ein dauerndes Thema hitziger Debatten, ob wir die Wiederholungen von großen Erdbeben als quasi-regulären oder zufälligen Prozess in der Zeit modellieren sollten“, erklärt Erstautor Japser Moernaut von der Universität Innsbruck.
Spurensuche im Seesediment
Er und sein Team haben daher in einer der erdbebengefährdetsten Regionen der Erde erneut nach zeitlichen Mustern gesucht – in Chile. Dort taucht die pazifische Erdplatte unter die südamerikanische Platte ab und hat sowohl Vulkane als auch immer wieder Erdbeben hervorgerufen. Allein im Süden Chiles haben sich in den letzten 500 Jahren vier starke Erdbeben, sogenannte Megathrust-Beben, ereignet, wie die Forscher erklären. „Im Jahr 1960 wurde das südliche Zentral-Chile vom stärksten bekannten Erdbeben der Erde mit einer Stärke von 9,5 erschüttert“, berichtet Moernaut. Doch wie in vielen anderen Gebieten reichten die historischen Daten nicht weit genug zurück, um ein Muster zu erkennen.
Das aber hat sich nun geändert. Für ihre Studie haben die Wissenschaftler Sedimentbohrkerne aus zwei Seen am Fuß der chilenischen Anden entnommen. „Diese Seen bieten eine fantastische Möglichkeit, die Wiederholung von Erdbeben zu untersuchen“, sagt Moernaut. Denn sie liegen genau oberhalb des Bereichs der Subduktionszone, in dem die stärksten Beben entstehen. Weil die Ablagerungen in den beiden Seen Jahrtausende weit zurückreichen, lässt sich an charakteristischen Störungen im Schichtverlauf die Geschichte der Erdbeben in dieser Region so weit zurückverfolgen wie nie zuvor.
Megabeben alle 292 Jahre
Die Forscher konnten anhand der Sedimente feststellen, dass es in dieser Region Chiles in den letzten 4800 Jahren bis zu 35 schwere Erdbeben mit einer Magnitude von mehr als 7,7 gegeben hat. Das Besondere dabei: In einem der beiden Seen führten nur extreme Starkbeben der Magnitude 9 zu Sedimentstörungen, während der Nachbarsee schon auf Erdbeben der Stärke 8 und knapp darunter reagierte. „Auf diese Weise konnten wir die Muster vergleichen, in denen Erdbeben unterschiedlicher Stärke auftreten“, erklärt Co-Autor Maarten Van Daele von der Universität Gent in Belgien.
Es zeigte sich: Extreme Starkbeben der Magnitude 8,6 und mehr wie das Megathrust-Beben des Jahres 1960 treten tatsächlich zyklisch auf: Sie wiederholen sich in Südchile etwa alle 292 Jahre. Für die Bewohner der Region ist das eine gute Nachricht: Weil das letzte schwere Beben erst gut 57 Jahre zurückliegt, ist es eher unwahrscheinlich, dass sich eine solche Katastrophe in den nächsten 110 Jahren wiederholt. Die Forscher beziffern die Wahrscheinlichkeit dafür auf nur 8,4 Prozent. Anders sieht es allerdings mit Erdbeben der Magnituden zwischen 7,6 und 8 aus: Ihre zeitliche Abfolge ist weniger regelmäßig und sie kommen häufiger vor – etwa alle 139 Jahre. „Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass es in nächster Zukunft erneut ein Ereignis der Stärke 7,7 und mehr geben könnte“, sagen Moernaut und seine Kollegen.
Wichtig sind die Ergebnisse aber auch für andere erdbebengefährdete Regionen: Die Wissenschaftler vermuten, dass es bei den stärksten Beben generell eine quasi-regelmäßige Wiederkehr-Periode geben könnte. „Inzwischen haben wir bereits ähnliche Studien in Seen in Alaska, Sumatra und Japan initiiert“, berichtet Koautor Marc De Batist von der Universität Gent. „Wir werden dann sehen, ob die chilenischen Muster auch für andere Gebiete gelten, die in der Vergangenheit sehr große Erdbeben der Stärke 9 und größer erlebt haben.“