Die Klimaforscher sind sich nicht einig. Andere Wissenschaftler waren zu dem Ergebnis gekommen, dass die Eisströme sich wegen der Klimaerwärmung beschleunigen würden. Der Eistransport ins Meer nähme demnach zu und der Westantarktische Eisschild könnte vollkommen schmelzen, was einen Anstieg des Meeresspiegels um 5 bis 6 Meter zur Folge hätte. „Es ist immer ein Problem, ein komplexes physikalisches Phänomen auf einen Satz von Gleichungen zu reduzieren, aber ich denke, wir haben jetzt das ausgeklügeltste Modell der Eisströme“, sagt Tulaczyk selbstbewusst.
Die sechs Eisströme, die in das Rossmeer münden, sind etwa 500 Kilometer lang und zwischen 20 und 100 Kilometer breit. Sie rutschen auf einer mit Wasser gesättigten lehmigen Sedimentschicht pro Tag um 1 bis 2 Meter in Richtung Meer. Wenn das Wasser unter dem Eis gefröre, würden sich die Ströme verlangsamen und eventuell ganz stoppen, weil dann die „Schmiere“ fehlte, sagt Tulaczyk.
Die Wärme, die das Wasser vom Gefrieren abhält, stammt zum Teil aus der Reibung des Eises mit dem Untergrund, zum Teil aus dem Erdinnern. Wie viel Wärme verloren geht, hängt von der Dicke der darüber liegenden Eisschicht ab: Je dünner das Eis, desto mehr Wärme wird vom Boden wegtransportiert. Nun wird die Eisschicht seit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren dünner. Tulaczyks Berechnungen zufolge ist jetzt ein Punkt erreicht, an dem so viel Wärme verloren geht, dass das Wasser unter dem Eis gefriert.
Die Beobachtungen scheinen Tulaczyks Theorie zu bestätigen. Einer der Eisströme hat bereits vor etwa 150 Jahren gestoppt, ein anderer ist in den letzten vier Jahrzehnten um 50 Prozent langsamer geworden.
Durch das Versiegen der Eisströme würde das auf dem Rossmeer schwimmende Schelfeis vom Nachschub abgeschnitten und verschwinden. Das könnte wiederum globale Änderungen der Meeresströmungen zur Folge haben mit der möglichen Konsequenz einer neuen Eiszeit.