Normalerweise ist das Südpolarmeer rund um die Antarktis im Winter durchgehend von Eis bedeckt. Doch in Abständen von teilweise vielen Jahrzehnten kommt es zu einer Ausnahme: Wenn sich warmes Tiefenwasser aus dem Atlantik mit kaltem Oberflächenwasser mischt, bleibt der betroffene Bereich im Südpolarmeer eisfrei. Das letzte Mal kam es zu einer ausgeprägten Polynja in den siebziger Jahren: Es bildete sich eine rund 250,000 Quadratkilometer große eisfreie Fläche im Weddell-Meer nördlich der Antarktis. Über einen Zeitraum von drei Wintern hinweg blieb diese Öffnung erhalten und überraschte die Klimaforscher.
Seitdem hat es eine so große Polynja nicht mehr gegeben. Doch wie die Forscher um Irina Marinov von der University of Pennsylvania in Philadelphia berichten, hat sich letztes Jahr erneut eine kleine Öffnung gebildet. Um zu klären, welche klimatischen Effekte mit einer Polynja einhergehen können, haben sich Marinov und ihre Kollegen dem Phänomen nun intensiv gewidmet. Sie entwickelten dazu ausgefeilte Computermodelle und Simulationen.
Ein Hotspot mit globalem Effekt
Es zeichnete sich zunächst ab, wie intensiv eine eisfreie Stelle als Ventil für die Wärme des Ozeans wirken kann. Durch das Fehlen der isolierenden Eisbedeckung gibt das Meerwasser mehr Wärmeenergie an die Atmosphäre ab. Dabei wird den Simulationen zufolge nicht nur die unmittelbare Umgebung warm, sondern es kommt zu einer Erhöhung der Temperaturen der gesamten südlichen Hemisphäre und schließlich zu Dominoeffekten. “Die Klimamodelle deuten darauf hin, dass in den Jahren und Jahrzehnten mit einer großen Polynja sich die gesamte Atmosphäre weltweit erwärmt, sich die Winde in der südlichen Hemisphäre verändern und eine Verschiebung im äquatorialen Regengürtel stattfindet”, resümiert Marinov.
Wie die Forscher berichten, verursacht der ungewöhnliche “Hotspot”, der durch das Loch im Eis entsteht, vor allem eine Veränderung der üblichen Windströmungen: “Wir sehen eine Abnahme in den Strömungen, die wir die Southern Hemisphäre Westerlies nennen, sowie bei den Passatwinden”, so Marinov. “Und diese Winde beeinflussen wiederum weiträumig die Entstehung von Stürmen, Niederschlägen und Wolken.”
Bei den Niederschlagsveränderungen handelt es sich den Modellen zufolge um einen Langzeiteffekt: Wenn eine Polynja auftritt, bewegt sich die sogenannte Intertropische Konvergenzzone des Äquatorialgürtels nach Süden. Anschließend verharrt dieser Regengürtel dann in der neuen Position für 20 bis 30 Jahre, bevor er sich wieder zurück verlagert, berichten die Forscher.
Dies kann wiederum deutliche Auswirkungen auf die Niederschläge in der Äquatorialregion haben: “Wasserressourcen beispielsweise in Indonesien, Südamerika und Afrika südlich der Sahara sind betroffen”, sagt Marinov. “Wir haben es hier mit einem natürlichen Klimaeffekt zu tun, der Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion in stark bevölkerten Regionen der Welt haben kann.” Angesichts dieser weitreichenden Implikationen des Phänomens unterstreichen die Forscher die Notwendigkeit einer Überwachung: “Man sollte nun gezielt danach Ausschau halten, ob und wo sich Polynjas bilden”, sagt Marinov.
Keine Folge, aber ein Faktor beim Klimawandel
Den Forschern zufolge handelt es sich bei dem Phänomen aber nicht um eine Folge des Klimawandels – im Gegenteil, Polynjas könnten sogar möglicherweise seltener werden. Denn der Effekt des Klimawandels scheint der Bildungsursache entgegenzuwirken: Wenn Meereis verstärkt schmilzt, frischt es die obere Schicht der Meeresoberfläche auf, so dass sie leichter wird. Dadurch ist es weniger wahrscheinlich, dass Wärme aus der Tiefe nach oben gelangen kann und das Wasser eisfrei hält, so die Erklärung.
Weitere Effekte im Rahmen der klimatischen Veränderungen in der Antarktis könnten sich aber ebenfalls auf die Entstehung des Phänomens auswirken, geben die Forscher zu bedenken. Kurzum – es bleiben viele Fragen offen. “Die Untersuchung der Polynjas und der Konvektion im Südpolarmeer hat sich als sehr wichtig und interessant für die Einschätzung von globalen Klimaprozessen herausgestellt. Vermutlich werden sich nun auch andere Gruppen diesem Forschungsfeld widmen”, so Marinov.