Wieso die Pflanzen 40 Millionen Jahre brauchten, um das Blatt zu erfinden, war für die Forscher lange Zeit ein Rätsel. Der Vorteil, den ein großflächiges Blatt für die Lichtausbeute bei der Photosynthese liefert, liegt auf der Hand. Zudem verfügten die Pflanzen bereits vor 410 Millionen Jahren über alle Strukturen, die zur Bildung eines Blattes notwendig gewesen wären, wie beispielsweise Gefäße oder Oberhaut. Die Weiterentwicklung der stachelartigen Fortsätze, mit denen die moosfarnartigen Urpflanzen die Photosynthese betrieben, hätte keiner großartigen neuen Erfindung im Bauplan der Pflanzen bedurft.
Wenn der Hinderungsgrund für die Blattbildung nicht bei der Pflanze selbst zu finden ist, dann ? so die Idee von Beerling und seinen Kollegen ? müssen die Umweltbedingungen für die Verzögerung von 40 Millionen Jahren verantwortlich sein. Zwischen dem Beginn des Devon-Zeitalters vor 410 Millionen Jahren und seinem Ende vor 360 Millionen Jahren sank der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre um 90 Prozent. In einer kohlendioxidreichen Atmosphäre bilden die Pflanzen weniger Poren für die Kohlendioxidaufnahme. Da die Poren aber auch für den Wassertransport und die Kühlung der Pflanzen zuständig sind, reichen so wenige Poren nicht dazu aus, eine große Blattfläche zu kühlen.
Das Modell der Forscher zeigt, dass Blattpflanzen in einer kohlendioxidreichen Atmosphäre den Hitzetod sterben, zumindest in der Nähe des Äquators. Aber auch in höheren Breiten sind ihnen die Blattlosen in einer solchen Atmosphäre bei der Photosynthese überlegen. Erst wenn der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre sinkt, bilden die Pflanzen mehr Poren aus. Bei größerer Dichte sind die Poren in der Lage, ein dem Sonnenlicht ausgesetztes Blatt zu kühlen.
Für die drastische Abnahme des Kohlendioxidgehalts der Atmosphäre waren die Pflanzen wahrscheinlich selbst verantwortlich. Zum einen benötigten sie das Kohlendioxid für ihre Photosynthese. Zum anderen beschleunigten ihre Wurzeln die Verwitterung von Boden und Gesteinen. Die Verwitterungsprozesse entzogen der Atmosphäre ebenfalls riesige Mengen an Kohlendioxid, wie Paul Kerrick vom Natural History Museum in London vermutet.