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Grimmiger Fisch, große Veränderung

Astronomie|Physik Erde|Umwelt

Grimmiger Fisch, große Veränderung
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Vor 419 Millionen Jahren besaß dieser Fisch bereits echte Kiefer (Brian Choo)
Vor vielen Millionen Jahren spalteten sich unsere schwimmenden Vorfahren in zwei große Klassen auf: Die Knochenfische, von denen auch wir abstammen, und die Knorpelfische, deren prominentester Vertreter wohl der Hai ist. Lange glaubten Forscher, genau diesem Raubtier habe der letzte gemeinsame Vorfahr der beiden Klassen geähnelt. Doch ein 400 Millionen Jahre altes Fossil – der wohl älteste bekannte Fisch mit richtigem Gesicht – widerlegt diese Theorie und bringt zugleich den bekannten Stammbaum durcheinander.

Der Kiefer ist ein unfassbar erfolgreiches Produkt der Evolution. Nahezu alle heute lebenden Wirbeltiere, vom Rochen bis zum Menschen, ¬gehören der Überklasse der Kiefermäuler an. Die sogenannten Gnathostomata teilten sich dereinst in zwei große Klassen auf: die Knorpelfische und die Knochenfische, aus denen später die Landwirbeltiere hervorgingen. Seit langem rätseln Paläontologen und Evolutionsbiologen, wie der letzte gemeinsame Vorfahre der beiden Klassen ausgesehen haben könnte. Bisher vermuteten sie, er habe dem Hai geähnelt. Der verfügt als Knorpelfisch nicht über Knochengewebe – es bildet sich höchstens bei großen, alten Haien in den Wirbeln. Anstatt fester Platten im Schädelbereich besitzen die meisten Knorpelfische winzige Schuppen. Ihnen fehlen jene hochentwickelten Kieferknochen, die Bestandteil eines richtigen Gesichtes sind. Bisher gingen Forscher daher davon aus, dass sie ein Alleinstellungsmerkmal der Knochenfische wären.

Ein  419 Millionen Jahre altes Fossil bringt diesen Konsens nun kräftig ins Wanken. Min Zhu und seine Kollegen von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften beschreiben in der Fachzeitschrift „Nature“ den ältesten jemals gefundenen Fisch mit Gesicht. Um einen Knochenfisch handelt es sich dabei nicht. Vielmehr entstammt die bisher unbekannte Art, die die Forscher Entelognathus tauften, einer früheren Abzweigung des Stammbaums.

Gefunden wurde das etwa 20 Zentimeter lange Fossil in China, in Ablagerungen aus dem Silur. Auf den ersten Blick ähnelt es aufgrund der knochigen Schulter- und Schädelpartie den Panzerfischen (Placodermi), einer ausgestorbenen Klasse, die sich bereits abgespalten hatte, bevor Knorpel- und Knochenfische getrennte Wege einschlugen. Bei genauerem Hinsehen stellten die Forscher jedoch fest, dass Entelognathus über differenzierte Kieferknochen verfügte, wie sie eigentlich nur Knochenfische besitzen.

Statusverlust für den Haityp

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Was bedeutet das für die Entwicklung unserer entfernten Vorfahren? Die Forscher schlagen zwei Alternativen vor: Entweder gehörte Entelognathus zu einer Schwesterklasse der Panzerfische, oder er ist eng mit dem letzten gemeinsamen Vorfahren von Knorpel- und Knochenfisch verwandt. So oder so verlieren die Knochenfische ihren schicken Kiefer als Alleinstellungsmerkmal. Vielleicht hat sich seine Struktur zwei Mal getrennt voneinander entwickelt. Vielleicht hat das Gesicht von Entelognathus aber auch die gleichen Vorläuferstrukturen wie jedes seiner noch lebenden Verwandten. Das wäre ein klarer Beleg dafür, dass der letzte gemeinsame Vorfahr von Knorpelfisch und Knochenfisch eben nicht wie ein Hai aussah. Im Gegenteil: Offenbar haben die Vorfahren Knorpelfische ihre Schädelknochen im Laufe der Zeit verloren.

Dafür spricht auch, dass die Forscher den Acanthodii, einer ebenfalls ausgestorbene Klasse von Kiefermäulern, in ihrer Veröffentlichung eine engere Verwandtschaft zu den Knorpelfischen nachweisen als gedacht. Die Acanthodii ähneln in ihren Merkmalen einer Mischung aus Knorpel- und Knochenfisch. In einem Begleitartikel schreiben Matt Friedman von der University of Oxford und Martin Brazeau vom Naturalis Biodiverity Centre im niederländischen Leiden: „Der letzte gemeinsame Vorfahr der Wirbeltiere mit Kiefer trug vermutlich eine knöcherne Panzerung, wie sie bei Placodermi und Knochenfischen üblich ist.“

Doch die beiden Kommentatoren belassen es nicht bei dieser Feststellung. Vielmehr fragen sie sich, wie sich die Forschergemeinde so irren konnte. Und liefert auch gleich die Antwort: „Der Status der Haie als stellvertretenden Vorfahren scheint fest etabliert. Aber das ist eine Illusion, genährt durch dogmatische Wiederholungen in Kombination mit der falschen Darstellung heutiger Knorpelfische als lebende Fossilien.“ Sie sehen den Fund als Beleg dafür, wie schnell anhand fehlender Daten falsche Schlüsse gezogen und so lange wiederholt werden, dass sie eher als Fakt denn als Vermutung erscheinen. Doch der neue Fund mache Hoffnung, schreiben Friedman und Brazeau. „Es wird dauern, die Implikationen eines so bemerkenswerten Fossils vollständig zu verarbeiten. Aber es ist klar, dass eine grundlegende Restrukturierung unseres Verständnisses von der frühen Evolution der Kiefermäuler in vollem Gange ist.“

Quelle:

© wissenschaft.de – Nora Schlüter
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