„Viele Merkmale, die wir mit Vögeln assoziieren, haben sich in Wirklichkeit entwickelt, lange bevor die ersten Vögel auf der Bühne erschienen“, sagt Koautor Alan Turner von der Stony Brook University in New York. So haben gerade in den letzten Jahren Paläontologen in China gleich mehrere verblüffend vogelähnliche Dinosaurier entdeckt. Einer von ihnen ist der in der frühen Kreidezeit lebende Microraptor. Dieser flinke, kleine Raubdinosaurier trug bereits an allen vier Beinen und am Schwanz lange, dichte Federn. Viele Forscher vermuten deshalb, dass Microraptor nicht nur lief, sondern bereits als eine Art Vierflügel-Gleiter kleinere Strecken fliegen konnte. Tests mit Nachbauten des Microraptor im Windkanal bestätigten dies. Möglicherweise, so die Vermutung, kletterte der kleine Raubdinosaurier Böschungen oder kleinere Anhöhen hinauf und stürzte sich dann, wenn er eine lohnende Beute erspäht hatte, auf diese hinunter. Sein Gefieder könnte seinen Sturz dann in eine Art Gleiten umgewandelt haben.
Andere Forscher sehen dies allerdings etwas anders: Demnach entwickelten die Dinosaurier und die ersten Urvögel ihr Federkleid zunächst nicht als Gleithilfe oder Flugapparat, sondern schlicht als Schmuck zum Imponieren und Balzen. Die gefiederten Dinos sahen demnach zwar vogelähnlich aus, konnten aber wahrscheinlich nicht viel mehr als flattern. Dies könnte auch für den Microraptor mit seinen „Federhosen“ gegolten haben. Klar ist daher bisher nur eines: Die bisher entdeckten Fossilien gefiederter Dinosaurier zeichnen weder ein eindeutiges Bild des Ursprungs der Vögel noch ihrer Flugfähigkeit.
Ein großer „Bruder“ des Microraptor
Forscher um Gang Han von der Bohai Universität in Jinzhou haben nun in der Liaoning-Provinz im Nordosten Chinas einen weiteren gefiederten Dinosaurier entdeckt – und damit die Diskussion wieder angeheizt. Das gut erhaltene Fossil stammt aus einer 125 Millionen Jahre alten Gesteinsschicht und gehört zur gleichen Verwandtschaftsgruppe wie der Microraptor, den Dromeosauriden. Mit einer Länge von 1,32 Meter ist die Neuentdeckung allerdings ungefähr dreimal so groß und mit einem geschätzten Gewicht von vier Kilogramm mindestens vier Mal so schwer wie dieser. Ähnlich wie bei seinem kleineren Vetter lassen die Abdrücke im Gestein erkennen, dass dieser Dinosaurier am Rumpf, an den Gliedmaßen und am Schwanz gefiedert war.
Besonders lang und auffällig sind dabei die Federn in zwei Bereichen, wie die Forscher berichten: am Schwanz und an den Hinterbeinen. Wegen dieser langen Federn tauften die Paläontologen ihren Fund Changyuraptor yangi – Changyu bedeutet lange Feder auf Chinesisch und als Raptoren werden räuberische Dinosaurier bezeichnet. An den Hinterbeinen reichen die Federn von der Hüfte bis zum Mittelfuß, wie die Paläontologen berichten. Sie überlappen sich stark und sind bis zu 13,5 Zentimeter lang. Der Changyuraptor gehörte damit eindeutig zu den „vierflügeligen“ Formen unter den gefiederten Dinosauriern. „Nach dem Microraptor ist er erst der zweite Dromeosauride mit solchen Federhosen – und mit Abstand der größte unter allen ‚Vierflügel‘-Dinosauriern“, sagen die Forscher. Sollten diese Beinfedern dem Changyuraptor wirklich als eine Art zweites Flügelpaar beim Gleiten gedient haben, dann wäre dies ihrer Ansicht nach ein Beleg dafür, dass diese „Doppeldecker-Technik“ nicht nur bei so kleinen Arten wie dem Microraptor funktioniert haben könnte.
Schwanz als Flugstabilisator?
Doch der Changyuraptor besaß noch eine fedrige Besonderheit: seine Schwanzfedern. Sie bilden einen Fächer aus acht oder neun Federn, die bis zu 30 Zentimeter Länge erreichen. „Das sind die längsten Schwanzfedern, die je bei einem nicht zu den Vögeln gehörenden Dinosaurier gefunden wurden“, konstatieren die Forscher. Sie vermuten, dass der lange Fächerschwanz dem Dinosaurier ebenfalls als Gleithilfe diente. Mit Hilfe aerodynamischer Modelle errechneten sie, dass der vom Schwanz erzeugte Auftrieb immerhin 20 Prozent des Körpergewichts von Changyuraptor ausgleichen konnte. Zudem half dieses bewegliche Steuerruder dem Dino wahrscheinlich dabei, seinen Gleitwinkel abzuflachen und so sein Abwärtsgleiten abzubremsen. „Gerade für die größeren Microraptor-Verwandten könnte diese Stabilisierung der Fluglage besonders wichtig gewesen sein, weil sie wegen ihres größeren Gewichts schneller abwärts sanken“, erklärt Koautor Michael Habib von der University of Southern California in Los Angeles.
Ob Changyuraptor tatsächlich durch die Lüfte glitt, lässt sich dennoch nicht eindeutig belegen. Das Fossil verrät nur, dass er es vielleicht gekonnt hätte. „Es ist klar, dass wir noch viel mehr Belege benötigen, um die Nuancen des Dinosaurierflugs zu verstehen“, räumt Koautor Luis Chiappe vom Natural History Museum of Los Angeles County ein. „Aber der Changyuraptor ist schon mal ein großer Satz in die richtige Richtung.“