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„Es gibt noch ganz viel zu entdecken“

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„Es gibt noch ganz viel zu entdecken“
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Rico Stecher
Im Beruf Lehrer, in der Freizeit Paläontologe: Der Schweizer Rico Stecher (*1971) sucht seit 20 Jahren in den Ostalpen nach Dinosaurier-Fossilien. Zwei Funde von ihm machten international Schlagzeilen: 2005 entdeckte er ein Exemplar einer bislang unbekannten Flugsaurier-Gattung, ein Jahr darauf fand er die ältesten Fußabdrücke von Sauropoden. Mit bild der wissenschaft sprach er über sein Hobby und seine größten Funde.

bdw: Herr Stecher, Sie sind in ihrer Freizeit Paläontologe. Wie oft sind Sie für Ihr Hobby unterwegs?

Rico Stecher: Um Fossilien zu suchen, gehe ich jedes Jahr etwa drei Wochen ins Feld. Das darf man sich nicht so vorstellen wie in Deutschland: Dort fährt man mit dem Auto zum Steinbruch, steigt aus und sucht. In meiner Region haben wir solche Steinbrüche jedoch nicht. Die Schichten, die ich untersuche, sind meist sehr abgelegen. Da muss man manchmal zwei bis drei Stunden Anmarschzeit einrechnen, bis man überhaupt dort ist. Und abends muss man diese Strecke wieder nach Hause gehen.

Welche Ziele steuern Sie an und worauf achten Sie auf Ihren Touren?

Ich suche vor allem im Ostalpin, etwa am Schesaplana oder am Tinzenhorn, wo ich den Flugsaurier gefunden habe. Die interessanten Schichten liegen weit oben in den Bergen. Dort suche ich vor allem in den Schutthalden, die sich unterhalb der Schichten bilden. Die Schichten abzutragen lohnt sich nicht, dafür sind Fossilien dort zu selten. Aber in den Schutthalden kommt immer neues Material nach.

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Sie haben schon ihren Fund eines Flugsauriers erwähnt. Wie haben sie ihn entdeckt?

An jenem Tag bin ich am Tinzenhorn die Schutthalde weiter hinauf gegangen als normal. Dazu musste ich über Felsketten klettern, es ist abschüssig dort und man muss aufpassen, denn es gibt Steinschlag. Und dann habe ich diese Platte gesehen: Sie stand wie angelehnt am Felsen und hatte lange auffällige Knochen drauf, das habe ich schon von einiger Distanz gesehen. Ich habe diese Platte hinuntergetragen, da wusste ich noch nicht, dass dies ein Flugsaurier war.

Wann haben sie realisiert, dass Sie einen unbekannten Flugsaurier entdeckt haben?

Als ich die langen Knochen fand, da war schon der erste Gedanke: Das ist ein Flugsaurier. Doch den Gedanken habe ich direkt wieder weggeschoben: Flugsaurier findet man eher in den USA, nicht in der Schweiz. Erst beim Präparieren habe ich gemerkt, wie leichtgebaut der Schädel ist. Ich dachte: Warum sollte er leicht sein? Weil er vielleicht geflogen ist! Er ähnelte auch einem anderen Flugsaurier, dem Eudimorphodon, der auch fünfspitzige Zähne wie mein Fund besitzt. Dann habe ich mir die Literatur aus den Bibliotheken und dem Internet bestellt, durchstudiert und gemerkt: Mein Fund ist etwas anderes. Mir wurde dann geraten, nicht nur eine neue Art, sondern eine neue Gattung aufzustellen. Denn es ist leichter, verschiedene Gattungen zusammenzufügen, anstatt eine Gattung auseinanderzunehmen.

Es ist der Traum eines jeden Paläontologen, eine eigene Art zu bezeichnen. Wie kommt man auf einen guten Namen?

Man muss sich inspirieren lassen (lacht). Für mich war die Lokalität speziell. Denn in der Schweiz sind Flugsaurier sehr, sehr selten. Daher war es für mich maßgebend, dass der Fundort im Namen markiert ist. So kam ich auf den Namen Raeticodactylus filisurensis, also der „Bündner Flugfinger von Filisur“. Bünden gehörte früher zum Kanton Rätien. Und Filisur ist die Gemeinde, wo er gefunden wurde.

Und wieso Dactylus, also der Finger?

Weil die Flugsaurier mit dem vierten Finger voran geflogen sind. Der vierte Finger ist in der Evolution so stark verlängert worden, dass er länger als der Oberarm und Unterarm zusammen war. Flugsaurier heißen daher oft „-dactylus“.

Kurze Zeit später hatten Sie dann einen zweiten bedeutenden Fund…

Ja, gleich im Anschluss habe ich die Beschreibung des Flugsauriers in Angriff genommen. Dabei habe ich auch die Schichten aufgenommen. Diese stehen alle senkrecht am Berg, und da habe ich weit oben einen großen Kreis auf einer Gesteinsschicht gesehen. Da kam mir gleich in den Sinn: Das sieht ja aus wie der Fußabdruck eines Sauropoden. Ich bin dann später da hoch und habe gleich mehrere Spuren gefunden, die sehr schön ausgebildet waren. Ich habe den Fund dann nach Basel zu Dr. Christian Meyer gemeldet, der weltweit führende Experte für Dinospuren. Für ihn war das sensationell. Denn bis dahin galten die Prosauropoden als die Vorfahren der Sauropoden, also den Langhalsdinosauriern. Die Spuren zeigten aber, dass die Sauropoden schon viel früher existierten als bislang gedacht. Die Prosauropoden konnten daher nicht die Vorfahren sein. Die Bücher musste man wieder umschreiben. Beide Funde, die Abdrücke und der Flugsaurier, sind übrigens ungefähr gleich alt, etwa 205 Millionen Jahre. 

Wie kann man denn die Fußspuren von Sauropoden und Prosauropoden unterscheiden?

Die Prosauropoden haben deutlich Zehen ausgebildet. Die Abdrücke der Sauropoden ähneln hingegen denen von Elefanten: Die sind einfach rund, haben einen Durchmesser von etwa 40-45 cm und haben keine erkennbaren Zehen, denn diese Tiere waren Zehenspitzengänger genau wie die Elefanten. Diese laufen eigentlich auf den Zehennägeln rum. Fleisch und Muskeln bilden die Fußsohle.

Die Saurierspuren waren eine wissenschaftliche Sensation. Trotzdem hängt Ihr Herz mehr am Flugsaurier.

Meine Begeisterung ist größer, wenn ich Knochenmaterial finde. Dann bin ich gleich hin und weg. Da habe ich Knochen in der Hand und kann das Fossil auch selbst präparieren. Die Sauropodenspuren sind hingegen immer noch in dieser Steilwand drin.

Warum findet man Fußabdrücke von Saurier so hoch in den Bergen? 

Die Schichten, die ich untersuche, stammen aus der späten Trias, sie sind etwa 200 Millionen Jahre alt. Sie müssen sehr strandnah gewesen sein, eine Meereslandschaft mit Lagunen, mit kleinen Becken, aber auch Stränden. Manchmal war dieses Gebiet trocken gelegt, weil der Meeresspiegel sank, dann war es wieder mal überflutet. Das Ostalpin gehörte damals zu Afrika, sie ist Teil der adriatischen Platte. Die Gegend nördlich und westlich von meiner Heimat ist Europa; südlich und östlich haben wir afrikanische Sedimente. Als Afrika gegen Europa drückte, wurden die Schichten übereinander geschoben. Je höher eine Platte im Deckenstapel liegt, umso südlicher war ihr Ursprungsgebiet. Wenn mich jetzt die Forscher fragen: Wo hast du den Flugsaurier gefunden? Ist das ein Afrikaner oder ein Europäer? Dann muss ich immer sagen: Das ist ein Afrikaner!

Wie sieht denn der Alltag eines Paläontologen aus?

Ich suche in diesen Schichten seit gut 20 Jahren. Wirklich bedeutende Funde macht man wirklich nur sehr, sehr, sehr selten. Doch wenn ich Fossilien suchen gehe, dann komme ich nie ohne etwas nach Hause. Üblicherweise finde ich Fischschuppen, Fischzähne, kleine Wirbel, Muscheln oder Korallen. Es lässt sich immer was finden, man muss nur sehr genau hinschauen. Viele Leute haben das Gefühl, die Suche sei sehr einfach. Wenn sie dann mitkommen, merken sie, dass sie gar nicht wissen, wonach sie Ausschauen halten sollen. Man muss ein Auge dafür entwickeln. Aber auch ich finde manchmal eine Stunde lang nichts, und dann frage ich mich schon: Was mache ich hier überhaupt? Dann gibt es wiederrum Momente, da sieht man allerorts was. Das zeigt: Die Fossilien sind da, bloß ist es wahnsinnig schwierig, sie zu erkennen.

Worauf sollte man achten, wenn man in den Bergen unterwegs ist und Fossilien sucht?

Die Gesteinsart muss stimmen. In einem Granitfelsen findet man keine Fossilien. Man braucht etwa Kalke, Tone, Mergel oder Dolomitengestein. Wo ich suche, sind die Fossilien meist vom Stein abweichend, oder der Stein hat plötzlich regelmäßige Strukturen drin. Wenn man dann wirklich mal was gefunden hat, kann man das zum Museum bringen. Diese rufen dann Leute wie mich an und fragen, ob es wirklich ein Fossil ist.

Kann man die Funde behalten?

Bei uns ist das so geregelt, dass alle Funde von Bedeutung dem Kanton gehören. 99,95 Prozent der Funde sind nicht mehr von wissenschaftlichem Wert, die kennt man und haben einen Namen. Diese kann man behalten. Aber dann gibt es hin und wieder sehr bedeutsame Funde. Als Fossiliensucher bewegt man sich da immer in einem Graubereich. Als angestellter Paläontologe bearbeitet man oft Material, das jemand anders gefunden hat. Es kommt fast nie vor, dass man – wie ich – selber sucht, präpariert und am Ende den Fund beschreibt. Ich muss mich natürlich immer fragen: Kann ich das wirklich selber präparieren? Wenn nein, dann lasse ich das einen Profipräparator machen.

Träumen sie noch von einer Entdeckung?

Ja natürlich, das mache ich immer. Die Schichten, die ich untersuche, lagerten sich in eher flachen Gewässern ab, wo der Boden Strömungen und Stürmen ausgesetzt war. Darum finde ich in den Schichten keine ganzen Fischfossilien: Die meisten sind zerfallen, man findet nur einzelne Schuppen. Da braucht man lange um zu wissen, was für ein Fisch das war. Komplette Funde hingegen zeigen das ganze Mosaik. Der Flugsaurier ist zwar nicht komplett, aber für die Schichten dort super erhalten. Ich wünsche mir daher für die Zukunft, dass ich möglichst komplette Funde mache.

Gibt es noch etwas, was sie unseren Lesern mitgeben möchten?

Die Augen zu öffnen, nicht nur für die Fossilien, sondern allgemein für die Natur. Wir haben immer das Gefühl, wir müssten wahnsinnig weit weggehen, um neue Dinge zu entdecken. Auch ich habe immer gedacht: Es ist alles schon erforscht worden. Aber das stimmt bei weitem nicht. Es gibt in der nächsten Umgebung noch ganz viele neue Dinge zu entdecken und zu erforschen. Das ist mir in all den Jahren bewusst geworden.

Herr Stecher, vielen Dank für das Gespräch!

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© wissenschaft.de – Martin Scheufens
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