Vor drei Jahren waren die Forscher um Nicholas Strausfeld von der University of Arizona in Tucson zu der Schlussfolgerung gekommen: Bereits die frühen Gliederfüßer (Arthropoden) verfügten über ähnlich hochentwickelte Nervenstrukturen wie die heutigen Krebstiere und Insekten. Diese Interpretation basierte auf der Untersuchung eines Fossils des Meereswesens Fuxianhuia protensa aus dem Erdzeitalter des Kambriums. Den Forschern zufolge wiesen die Überreste des Tieres entgegen der Lehrmeinung Spuren von Gehirnstrukturen auf. Seitdem waren Strausfeld und seine Kollegen nach eigenen Angaben allerdings mit viel Zweifel konfrontiert: „Einige Paläontologen vermuteten, dass es sich nur um eine Fehlinterpretation handelte oder dass das Fossil eine seltsame Ausnahmeerscheinung darstellt“, sagt Strausfeld. In gleich zwei Veröffentlichungen widerlegt sein Team nun diese Zweifel. „Bei wissenschaftlicher Arbeit macht es besonders Spaß, mit kritischen Mutmaßungen aufzuräumen“, so Strausfeld.
Sieben neue Hirn-Fossilien
In einer der beiden aktuellen Studien berichten die Forscher nun über gleich sieben neu entdeckte Fossilien von F. protensa, die den Analysen zufolge die Ergebnisse bei dem ersten Exemplar bestätigen: Sie alle weisen fossile Spuren von Hirnstrukturen auf, die denen von modernen Krebstieren und Insekten ähnelten. Diese Wesen verfügten demnach tatsächlich schon über vergleichsweise weit entwickelte Gehirne, bestätigen die Ergebnisse. Die Forscher analysierten die Überbleibsel der Nervenstrukturen mittels Raster-Elektronenmikroskopie. Dabei zeigte sich, dass sie sich in der Form von dünnen Kohlenstoffschichten erhalten hatten, die in einigen Fällen von Eisenpyrit-Kristallen überzogen waren.
Im Rahmen der zweiten Studie sind die Forscher der Frage nachgegangen, welche Faktoren zur Entstehung solcher Fossilien nötig sind. Grundsätzlich müssen Wesen dazu schnell begraben werden, erklären die Forscher. So werden sie nicht gefressen und wenn eine geringe Sauerstoffkonzentration vorliegt, kommt es auch nicht zu einem Abbau durch Mikroorganismen. F. protensa wurde wahrscheinlich von Schlamm bedeckt, sagen die Forscher. Dies simulierten sie in Fossilierungs-Experimenten mit Sandwürmern und Kakerlaken.
Fossilierungs-Experimente
Damit sich aber auch die Hirnstrukturen erhalten konnten, muss noch ein weiterer Aspekt vorgelegen haben, sagen Strausfeld und seine Kollegen: Das Nervengewebe von F. protensa muss vergleichsweise fest gewesen sein, denn sonst hätte es dem Druck durch die Deckschichten nicht standgehalten und hätte sich verflüchtigt. Interessanterweise findet man heute das dichteste Hirn- beziehungsweise Nervengewebe im Tierreich bei Gliederfüßern. Es ist ein kompaktes zelluläres Netzwerk, das letztlich aus Proteinen und Fett besteht. Bei den Fossilierungs-Experimenten überstanden auch die Nervensysteme der Sandwürmer und Kakerlaken den Druck der Deckschichten, berichten die Forscher. Letztlich wurde bei diesem Prozess das Wasser aus den Strukturen herausgepresst und sie blieben als platter Überrest erhalten.
„Während dieses Prozesses behält das Gehirn seine Gesamtintegrität, wird allmählich dünn und schließlich konserviert. Die Gewebedichte von F. protensa scheint letztlich dabei ausschlaggebend gewesen zu sein“, sagt Strausfeld. Jetzt, da er und seine Kollegen klare Beweise dafür haben, dass es sich bei fossilen Arthropoden-Gehirnen mehr als nur um ein einmaliges Phänomen handelt, können sie sich nun wieder ihrem eigentlichen Ziel widmen: Sie wollen herausfinden, wie sich Gehirn und Nervenstrukturen vor über einer halben Milliarde Jahren entwickelt haben.