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Die Wachsleichen aus Messel

Astronomie|Physik Erde|Umwelt

Die Wachsleichen aus Messel
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Leichenwachs als Knochenkitt: Das berühmte Urpferdchen aus Messel. © Senckenberg
Adipocire nennen Mediziner die grauweiße, wasserunlösliche Substanz, in die sich das Fettgewebe von Leichen unter bestimmten Bedingungen verwandelt. Solches Leichenwachs könnte die außergewöhnlich gut erhaltenen Fossilien aus der weltberühmten Grube Messel bei Darmstadt zusammengehalten haben, lautet eine neue Theorie der Messelforscher Krister Smith und Michael Wuttke. Wuttke führte zudem Versuche mit den Kadavern eines Gartenschläfers und eines Maulwurfs durch, um die Stadien des Zersetzungsprozesses genau zu beobachten.

Wenn Paläontologen Wirbeltierfossilien finden, müssen sie sich meist mit einzelnen Knochen oder Zähnen begnügen. Doch in der Grube Messel wurden seit Anfang des 20. Jahrhunderts zahlreiche vollständige Skelette von Säugetieren, Vögeln und Echsen gefunden. Die ölhaltigen Schiefer von Messel entstanden vor etwa 47 Millionen Jahren am Boden eines tropischen Vulkansees. Warum oder wie die Tiere zu Tode kamen, ist unklar. Womöglich strömten giftige Gase aus dem Maar, womöglich bildeten sich dort aber auch regelmäßig giftige Algenblüten. Tiere, die auch nur kleinere Mengen Seewasser tranken, könnten durch das Algengift getötet worden sein.

Um die Bedingungen besser verstehen zu können, die die einzigartigen Funde hervorgebracht haben, untersuchten Smith und Wuttke nun die Gelenke mehrerer Fossilien der Echse Geiseltaliellus maarius, die in Messel recht häufig vorkam. Die Wissenschaftler stellten fest, dass das Weichgewebe nicht vollständig bakteriell zersetzt wurde. Sie schließen daraus, dass das Bodenwasser des Messel-Sees frei von Sauerstoff war. ?Unter solchen Bedingungen sind Bakterien nicht in der Lage, die Fette von Leichen vollständig aufzulösen?, erklärt Michael Wuttke. Das Körperfett verwandelte sich offenbar in das haltbare Leichenwachs. Es konservierte die Kadaver mehrere Jahrzehnte, bis sie vollständig im Seeboden begraben waren und versteinerten.

Was mit den Körpern toter Tiere normalerweise passiert, untersuchte Wuttke zusammen mit Achim Schwermann von der Universität Bonn. Die Forscher legten den Kadaver eines Gartenschläfers in einen mit Teichwasser gefüllten Behälter. Bereits nach zehn Tagen löste sich ein Handknochen vom Rest des Skeletts, nach zwei Monaten war der Kadaver völlig aufgelöst. Nur noch vereinzelte Knochen, Zähne und Haare fanden sich im Behälter. Die Forscher beobachteten die Verwesung mit einem hochauflösenden Computertomographen. Sie stellten fest, wie in dem Kadaver Gase entstanden, wie sich die inneren Organe verflüssigten und wie sich die Verbindungen zwischen den Knochen nach und nach auflösten, bis selbst das Skelett zerfiel.

Anschließend verglichen sie die verschiedenen Zerfallsstadien mit dem Fossil eines Fingertiers aus Messel, das ungefähr genauso groß war wie das moderne Nagetier. Smith und Wuttke kamen zu dem Schluss, dass der Zersetzungsprozess bei dem Fossil vorzeitig zu einem Halt gekommen sein muss, ähnlich wie auch bei der Echse – und zwar höchstwahrscheinlich, weil sich Leichenwachs bildete und die Knochen wie Kitt zusammenhielt.

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Krister Smith (Senckenberg Forschungsinstitut, Frankfurt), Michael Wuttke (Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Mainz) et al.: Palaeobiodiversity and Palaeoenvironments, Online-Vorabveröffentlichung, DOI: 10.1007/s12549-011-0064-2 Achim Schwermann (Universität Bonn), Michael Wuttke und Julia Schultz: Palaeobiodiversity and Palaeoenvironments, Online-Vorabveröffentlichung, DOI: 10.1007/s12549-011-0063-3 © wissenschaft.de – Ute Kehse
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Woll|laus  〈f. 7u; Zool.〉 Pflanzenlaus, die eine wollig aussehende Wachsmasse ausscheiden kann: Pemphiginae

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