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Video-Calls hemmen die Kreativität

Gesellschaft|Psychologie

Video-Calls hemmen die Kreativität
Videokonferenz
Wie beeinflussen Videokonferenzen die Kreativität? © VioletaStoimenova/ iStock

Mehr und mehr Menschen arbeiten schwerpunktmäßig von zu Hause aus und treffen ihre Kollegen vor allem per Videokonferenz. Die Covid-19-Pandemie hat diese Entwicklung beschleunigt. Doch wie wirkt sich die virtuelle Zusammenarbeit auf die Kreativität von Teams aus? Eine neue Studie zeigt, dass Teams, die per Videotelefonat an einer Aufgabe arbeiten, weniger kreative Ideen entwickeln als Teams, die im gleichen Raum zusammensitzen. Grund dafür ist aus Sicht der Forscher, dass der Fokus auf den Bildschirm auch den kognitiven Fokus verengt und so die Kreativität hemmt. Geht es dagegen darum, die beste Idee auszuwählen, erweisen sich virtuelle Teams als mindestens ebenso erfolgreich wie persönliche.

Während der Covid-19-Pandemie wurden zahlreiche Arbeitnehmer auf unbestimmte Zeit ins Home Office geschickt und persönliche Treffen mit Kollegen wurden durch Videokonferenzen ersetzt. Viele Unternehmen haben ihre Richtlinien für die Arbeit von zu Hause flexibilisiert und Studien gehen davon aus, dass auch nach Ende der Pandemie etwa 20 Prozent der Arbeitstage in den USA im Home Office stattfinden werden. Doch wie wirkt sich das auf die Zusammenarbeit in Teams aus? Können Videokonferenz-Lösungen den persönlichen Kontakt gleichwertig ersetzen?

Kreativität und Entscheidungsfindung

Mit dieser Frage haben sich nun Melanie Brucks von der Columbia University in New York und Jonathan Levav von der Stanford University auseinandergesetzt. In mehreren Labor- und Feldexperimenten untersuchten sie, wie kreativ Teams sind, je nachdem, ob sie virtuell oder persönlich zusammenarbeiten. Für die Laborexperimente rekrutierten die Forscher insgesamt über 600 Studierende und teilten sie in Zweierteams auf, die gemeinsam neue Anwendungsmöglichkeiten für ein Produkt erfinden sollten und am Ende die beste Idee auswählen sollten. Dabei saßen sich die Teammitglieder entweder persönlich in einem Raum gegenüber oder kommunizierten in zwei getrennten Räumen per Videokonferenz.

Die Forscher zählten einerseits die Anzahl der kreativen Ideen pro Team, andererseits ließen sie unabhängige Juroren bewerten, wie kreativ die jeweiligen Ideen waren. Die Juroren wussten dabei nicht, unter welchen Bedingungen die Vorschläge zustande gekommen waren. Das Ergebnis: „Die virtuellen Paare generierten eine signifikant geringere Gesamtanzahl von Ideen und signifikant weniger kreative Ideen“, berichten die Forscher. „Dagegen fanden wir Hinweise darauf, dass die virtuelle Interaktion die Entscheidungsqualität erhöhen könnte.“ So hatten die persönlichen Teams zwar bessere Ideen in ihrem Ideenpool, wählten aber oft nicht die beste Idee zur finalen Präsentation aus. Dadurch waren die am Ende ausgewählten Ideen bei virtuellen und persönlichen Paaren von ähnlicher Qualität.

Videokonferenz verengt den Fokus

Um Erklärungen für das Phänomen zu finden, werteten die Forscher zahlreiche mögliche Einflussfaktoren aus. Sie erhoben, wie verbunden sich die Testpersonen mit ihrem Teampartner fühlten, analysierten die Wortwechsel in den Gesprächen, verfolgten die Augenbewegungen der Teilnehmer und fragten nach dem Experiment ab, inwieweit sie sich an den Raum erinnerten, in dem sie die Aufgabe absolviert hatten. Dabei zeigte sich: Die empfundene Verbundenheit und das Vertrauen zum Teampartner waren bei virtuellen und persönlichen Paaren ähnlich hoch. Die Gesprächsanalysen zeigten geringfügige Kommunikationsprobleme in den Videokonferenzen, etwa dass die Beteiligten häufiger unbeabsichtigt gleichzeitig redeten und es weniger Sprecherwechsel gab als beim persönlichen Austausch. Mit statistischen Methoden konnten Brucks und Levav jedoch zeigen, dass dies keine Auswirkungen auf die kreative Leistung hatte.

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Dafür fanden sie einen anderen deutlichen Einflussfaktor: Während der Blick der Teilnehmer, die persönlich zusammensaßen, oft im Raum herumschweifte, fokussierten sich die Videokonferenz-Teilnehmer deutlich stärker auf ihren Gesprächspartner auf dem Bildschirm. Entsprechend konnten sie sich im Nachhinein auch an weniger Details aus dem Raum erinnern. „Der Fokus auf den Bildschirm hat auch einen engeren kognitiven Fokus zur Folge“, erklären die Forscher. Für Kreativität sei es jedoch wichtig, die Gedanken ebenso wie den Blick schweifen lassen zu können. Bei der Entscheidung für eine Idee dagegen sei der engere Fokus womöglich hilfreich.

Virtuelle und persönliche Arbeit kombinieren

Die Ergebnisse bestätigten Brucks und Levav in einer Feldstudie mit fast 1.500 Mitarbeitern eines Telekommunikationsunternehmens in Portugal, Israel, Finnland, Ungarn und Indien. Hier sollten eingespielte Zweierteams entweder persönlich oder per Video-Call neue Produktideen für ihr Unternehmen entwickeln und am Ende eine der Innovationen auswählen. Auch hier zeigte sich, dass die persönlichen Teams mehr kreative Ideen entwickelten als die virtuellen Teams. Ebenso wie bei den Laborstudien waren jedoch die final präsentierten Innovationen ähnlich gut, da sich die persönlichen Teams oft nicht für ihre beste Idee entschieden.

Aus Sicht der Autoren können ihre Ergebnisse Unternehmen dabei helfen, Heim- und Präsenzarbeit der Beschäftigten möglichst sinnvoll zu gestalten. Zugleich betonen Brucks und Levav jedoch, dass es zahlreiche weitere Faktoren zu beachten gilt, die in der Studie nicht erfasst wurden. Dazu zählen beispielsweise die Wirtschaftlichkeit von Präsenzarbeitsräumen und die Möglichkeit, durch Onlinearbeit auch weit entfernt wohnende Talente einbeziehen zu können. „Um das Beste aus beiden Welten zu nutzen, planen viele Unternehmen, persönliche und virtuelle Zusammenarbeit zu kombinieren“, berichten die Forscher. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es in diesen hybriden Konstellationen sinnvoll sein könnte, der kreativen Ideenfindung bei persönlichen Treffen den Vorrang zu geben.“

Quelle: Melanie Brucks (Columbia University, New York) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-022-04643-y

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