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Nobelpreis für Medizin 2006: Das Schweigen der Gene

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Nobelpreis für Medizin 2006: Das Schweigen der Gene
Der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin geht in diesem Jahr zu gleichen Teilen an den 45-jährigen Craig Mello von der Harvard-Universität in Boston und seinen knapp zwei Jahre älteren Kollegen Andrew Fire vom MIT in Cambridge. Ausgezeichnet werden die beiden Genetiker für ihre Entdeckung der RNA-Interferenz (RNAi), einem natürlichen Regelmechanismus, mit dem Organismen von der Pflanze über Würmer bis hin zum Säugetier Gene gezielt stilllegen können. Dabei fängt ein doppelsträngiges RNA-Molekül in Zusammenarbeit mit verschiedenen Proteinen die Genabschriften ab, die den Proteinfarbriken der Zelle normalerweise als Vorlage für die Produktion von Eiweißen dienen, und zerstört sie. Auf diese Weise wehren Zellen nicht nur eindringende Viren ab, sondern sie halten auch ihr Genom stabil und regulieren die Aktivität von Genen, die nicht ständig benötigt werden. Neben dem besseren Verständnis der Vorgänge in der Zelle eröffnete die Entdeckung auch völlig neue Möglichkeiten in der Biotechnologie, kommentiert das Nobelkomitee seine Entscheidung.

Der Informationsfluss in einer Zelle ist so klar geregelt, dass er auch als zentrales Dogma der Molekularbiologie bezeichnet wird: Die Baupläne für die Produktion der Proteine sind auf der Erbsubstanz DNA im Zellkern abgespeichert und werden bei Bedarf umgesetzt. Dazu fertigt die Zelle eine Art Negativ-Abdruck der DNA-Instruktionen in Form einer Boten- oder Messenger-RNA (mRNA) an. Diese Abschrift verlässt dann den Zellkern und wird im Zellplasma zu den Proteinfabriken transportiert, wo die Information schließlich in eine Abfolge von Aminosäuren und damit ein Protein umgesetzt wird.

In diesem Modell spielt die RNA lediglich die Rolle eines Botschafters, der die Informationen von der DNA überbringt. Bereits Ende der 1960er Jahre begannen Wissenschaftler jedoch zu erkennen, dass die Aufgaben der Ribonukleinsäuremoleküle in der Zelle sehr viel umfangreicher sind. So dient die RNA unter anderem als Adapter zwischen Nukleinsäuremolekülen und Aminosäuren und kann in Zusammenarbeit mit Proteinen sogar als Katalysator fungieren. In den frühen 1980er Jahren zeigte sich schließlich, dass kleine RNA-Moleküle im Darmbakterium E. coli auch an der Regulation der Genaktivität beteiligt sind: Finden sie eine mRNA mit einer Basenabfolge, die genau das Gegenstück ihrer eigenen ist, docken sie dort an und verhindern so, dass die Informationen auf der mRNA in ein Protein umgesetzt werden.

Doch dieser Mechanismus konnte bestimmte Effekte nicht erklären, die Wissenschaftler bei verschiedenen Genmanipulationen beobachtet hatten. Besonders merkwürdig war in diesem Zusammenhang die Entdeckung einiger Pflanzengenetiker: Sie hatten mit der Absicht, die Blütenfarbe zu intensivieren, ein Gen für ein rotes Pigment in Petunien eingefügt ? mit dem unerwarteten Ergebnis, dass die veränderten Blüten überhaupt keine Farbe mehr besaßen. Zwar war schnell klar, dass auch bei dieser „Gene Silencing“ getauften Stilllegung von Genen die RNA eine Schlüsselrolle spielen muss. Wie diese genau aussieht, blieb jedoch unklar. Erst die nun ausgezeichnete Arbeit von Fire und Mello, die sie im Jahr 1998 im Fachmagazin „Nature“ veröffentlichten, brachte Licht ins Dunkel: Indem sie einigen Würmern verschiedene RNA-Varianten injizierten, entdeckten sie, dass bei höheren Organismen im Gegensatz zum E. coli-Modell eine doppelsträngige RNA für den Inaktivierungseffekt sorgt ? ein System, das sie RNA-Interferenz nannten. Dabei reichten schon wenige Moleküle aus, um den Effekt auszulösen.

In den darauf folgenden Jahren konnte dann auch der genaue Mechanismus aufgeklärt werden: In der Zelle beziehungsweise dem Zellplasma angekommen, dockt die doppelsträngige RNA an einen Proteinkomplex namens Dicer an, der sie anschließend in kleinere Stückchen zerlegt. Ein anderer Proteinkomplex, genannt RISC, greift dann diese Fragmente auf und beseitigt einen der beiden Stränge. Der übriggebliebene Teil des RNA-Moleküls dient schließlich als eine Art Sonde zum Aufspüren von unerwünschten mRNAs: Trifft er auf eine mRNA mit der passenden Sequenz, wird diese festgehalten und vom RISC-Komplex zersetzt. So wird verhindert, dass die genetische Information der entsprechenden mRNA umgesetzt wird ? das Gen ist also faktisch stillgelegt.

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In der Natur wird dieses System für verschiedene Zwecke genutzt. Einer der wichtigsten: der Schutz vor RNA-Viren. Solche Erreger besitzen als Erbsubstanz nicht DNA, sondern eine doppelsträngige RNA. Dringt diese in eine Zelle ein, kann der Organismus den unerwünschten Eindringling mithilfe der RNA-Interferenz leicht entdecken und ausschalten. Außerdem unterdrückt RNAi so genannte Transposons oder springende Gene, die bei unbeschränkter Aktivität auf Dauer das Genom instabil machen würden, und sorgt für die korrekte Verpackung der DNA im Zellkern. Viele Wissenschaftler halten die RNA-Interferenz außerdem für einen vielversprechenden Ansatz für neue Gentherapien, bei denen defekte Gene künstlich stillgelegt werden können.

Ilka Lehnen-Beyel
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